Kernfamilien und neue Formen der Elternschaft

Ausgabe: 1994 | 4

Ein Drittel aller geschlossenen Ehen wird wieder geschieden, die Heiratsziffern sinken, Alleinerziehende und Single-Haushalte nehmen zu. Angesichts solcher Befunde wird entweder das Ende der Familie diagnostiziert oder auf weitreichende Wandlungsprozesse hingewiesen. Gleichzeitig, dies belegen demographische Daten, ist die Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind) immer noch das häufigste Modell der Elternschaft. Den neuen bzw. alternativen Familienformen gilt das Interesse der Autorinnen.

Grundlage waren narrative Interviews im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes, in denen Eltern erzählen, wie sie zu dieser Lebensform gefunden haben und welche Erfahrungen sie darin machen. Die Herausgeberin gibt einleitend eine Übersicht über mögliche Chancen und Risiken in diversen Formen von Elternschaft. Marianne Pieper macht dabei auch deutlich, dass die Wahl der Familienform "meist eher der Notwendigkeit zur Neuorientierung aufgrund der ,Wechselfälle des Lebens' als einem langfristig vorausschauenden biographischen Entwurf" entspringt. Zur Debatte steht neben der Familiengründung durch künstliche Befruchtung, der geteilten Elternschaft nach Trennung und der lesbischen Elternschaft die Mutter-Kind-Familie Deren Anteil liegt heute in der BRD bei 13%, wobei 85% der Alleinerziehenden Frauen sind. "Dass Frauen die alltagspraktische, soziale und materielle Organisation ihres Lebens unter z. T. großen Anstrengungen vollbringen und ihre Familie in der Tat oft als unvollständig empfinden, ist nicht dieser Familienform als solcher geschuldet, sondern einer gesellschaftlichen Organisation von Elternschaft und Kindererziehung, die sich an der Kernfamilie orientiert." Auch die Wohngemeinschaft ist als familiale Lebensform für Alleinerziehende, "aber wohl auch für Mütter und Väter, die andere Formen von Elternschaft leben, eine interessante und gangbare Alternative im Vergleich zu anderen Modellen". Deutlich wird, dass die Veränderungsprozesse schwierig sind, da Möglichkeiten des Balancierens und Jonglierens zwischen neuen Lebensformen und alten Leitbildern gefunden werden müssen. Die "Elternschaft ohne Modell" stellt jedenfalls an die Beteiligten hohe Anforderungen, die im Dschungel der Werte mit diesem Buch eine Hilfe an die Hand bekommen.

A.A.

Erziehungskisten und Kinderkram. Neue Formen der Elternschaft. Hrsg. v. Marianne Pieper. Frankfurt/M. (u. a.): Campus, 1994. 273 S, DM 29,80 / sFr 27,40 / öS 233