Katastrophen in Industrie, Verkehr und im Zivilleben

Ausgabe: 1999 | 2

Bereits mit einer 1996 vorgelegten „Chronik der Naturkatastrophen von 1500 bis heute“ [vgl. PZ 97*325] hat Josef Nussbaumer Aufmerksamkeit erregt. Nun legt der an der Universität Innsbruck wirkende Wirtschafts- und Sozialhistoriker eine gleichermaßen detaillierte „Chronik der Katastrophen in Industrie, Verkehr und Zivilleben“ vor, die fernab oberflächlicher Effekthascherei darauf abzielt, die Schattenseiten des zivilisatorischen Fortschritts auszuleuchten. Den überwiegend jugendlichen Opfern jener Flugzeugkatastrophe gewidmet, die am Abend des 26. Mai 1991 in über Thailand ihr Leben lassen mußten, wird trotz der Anonymität von Zahlenkolonnen zweierlei deutlich: Es sind Menschenleben und das unsagbare Leid der Zurückgebliebenen, die den Weg der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung säumen, und es sind (neben der letztlich unkontrollierbaren Macht der Natur vor allem Fahrlässigkeit, Ehrgeiz und Gewinnstreben, denen wir zu viele Opfer schulden.

Der erste Band ist als exemplarische Darstellung ziviler Katastrophen von 1500 bis heute zu lesen. Von Explosionen aus „Pulver- und Dampfzeit“ handelt das einleitende, umfangreichste Kapitel, in dem Bhopal, Seveso, Harrisberg und Tschernobyl die heute wohl bekanntesten Stichwortgeber des Grauens abgeben. Wie sorglos vielfach auf der Tastatur des Schreckens gespielt wird, zeigt etwa die Bandbreite der Angaben über Todesopfer der indischen Chemiekatatrophe vom 2./3. Dezember 1984, die von „nur“ 1.400 bis zu 30.000 reicht. Daß wir darüber hinaus mit (tödlicher) Sicherheit „unterwegs zum globalen GAU sind, legt die Auflistung der Störfälle in Atomreaktoren mit insgesamt 25 Befunden nahe. Aufgeführt und kenntnisreich beschrieben sind in diesem Abschnitt weiters schwere Unfälle im Berg- und Kraftwerksbau sowie Tankerkatastrophen. Den Schattenseiten der Mobilität, „dem Rasen des Menschen“ spürt Kapitel 2 nach: von Desastern der zivilen Schiffahrt (natürlich mit ausführlichem Titanic-Bezug), Eisenbahnunfällen und Flugkatastrophen bis hin zum eigentlichen Schlachtfeld Straße - mit mehr als 900.000 Todesopfern weltweit - reicht die Chronologie des Schreckens.

Den vermutlich düstersten Abschnitt jedoch hat der Autor für das Ende seiner Zusammenstellung aufbewahrt. Eine alphabetische Auflistung der „Alltagskatastrophen“ reicht von „Abtreibungen“ über „Alkohol“ und Arbeitslosigkeit“ bis hin zu „Wissenschaft als Tragödie?“ und „Wüste“. Die Durchsicht dieses Kapitels macht deutlich, daß die kleinen, leisen und schleichenden Tragödien wohl deshalb zu den gefährlichsten zählen, weil wir uns gleichsam an sie gewöhnt haben. Wer Murphey’s Gesetz, wonach, „Was möglich ist auch vorkommt“, nur im Sinne eines „Was schief gehen kann, geht schief“ interpretiert, findet bei Nussbaumer eine fast erdrückende Fülle an Belegen seiner apokalyptischen Weltsicht, die durch Band 2, einer thematische geordneten Chronologie, ergänzt durch ausführliche Literaturhinweise und Indizes noch untermauert wird.

Die Fülle der ausgewerteten Daten und Fakten sowie die bei aller notwendigen Kürze doch immer wieder differenzierte und kritische Darstellung zeichnet auch diesen zweiten Teil einer auf insgesamt fünf Bände konzipierten „Weltchronik der Katastrophen“ aus. W. Sp.

Nussbaumer, Josef: Tragödien. Eine Chronik der Katastrophen in Industrie, Verkehr und Zivilleben. Grünbach: Buchverl. F. Steinmaßl, 1999 Bd. 1: Ausgewählte Beispiele, 432 S.; Bd. 2: Chroniken, 201 S.