Kapitalismus im 21. Jahrhundert

Ausgabe: 1994 | 3

Der Kapitalismus sei als einziges Wirtschaftsmodell übrig geblieben, könne seine Lebensfähigkeit aber nur beweisen, wenn er sich einschneidenden Veränderungen unterzieht. Dies formuliert der bekannte, an der "New School for Social Research" in New York lehrende Wirtschaftswissenschafter Robert Heilbroner insbesondere mit Blick auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten im vorliegenden Buch. Wenn stagnierendes Wachstum, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Verschuldung der Staatshaushalte sowie Verfall der Sozialsysteme als augenfällige Krisensymptome des "Siegermodells" auszumachen sind, so zeigt Heilbroner unter Bezugnahme auf die Klassiker der Wirtschaftstheorie von Smith über Marx bis Keynes, dass die Prinzipien der Kapitalakkumulation sowie des freien Marktes per se nicht in der Lage sind, soziale Probleme zu meistern, geschweige denn die ökologischen Fragen, insbesondere die globale Erwärmung als "bedeutendste Herausforderung im kommenden Jahrhundert", in den Griff zu bekommen.

Der Autor entwirft ein Bild einer "partizipatorischen Ökonomie", die Wirtschaftsplanung etwa durch generelle Verbrauchsnormen und Produktionsmengenfestlegungen aufgrund der Einsicht der Bürgerinnen legitimiert, das "Solidaritätsethos" stärkt sowie technologische und organisatorische Innovationen durch Revisions- und Wahlmöglichkeiten fördert bzw. begrenzt. Ob dieser "Sozialismus jenseits von rechts und links", der dem "vorwärts" verpflichtet sei und damit dem "rückwärts" (der Barbarei) entgegenwirke, durchsetzbar sein werde, wagt Heilbroner nicht zu prognostizieren. Als Botschaft bleibt, dass der Staat bzw. die Gesellschaft - als Gegendomäne zur Wirtschaft - im 21. Jahrhundert nicht weniger, sondern mehr an Aufgaben zu erfüllen haben wird. 

Heilbroners Vorstellungen reichen über Clintons Reformprogramm hinaus, sie übersteigen auch das Konzept des europäischen Sozialstaats; sie deuten an, dass wir im kommenden Jahrhundert, wollen wir Katastrophen abwenden, in größerem Ausmaß zu Wirtschafts- und Produktionsplanungen gezwungen werden könnten, als wir uns derzeit vorzustellen vermögen. Eines übersieht Heilbroner: Die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat bestehen bereits jetzt, wenn auch in problematischer Weise, etwa im Bereich der Rüstung und der Großtechnik-Forschung (vgl. dazu Noam Chomsky: Wirtschaft und Gewalt. PZ 1/94).

H. H.

Heilbroner, Robert: Kapitalismus im 21. Jahrhundert. München: Hanser, 1994. 1595., DM 28,-/sFr 25,80/ öS 219,-