Was ist und was heißt „Kultur“?

Ausgabe: 2001 | 2

Das vorgelegte Werk ist als Band 4 in der von Ernst Wolfgang Orth und Karl-Heinz Lembeck herausgegebenen Reihe "Trierer Studien zur Kulturphilosophie. Paradigmen menschlicher Orientierung" erschienen und vereint mehrere bereits in den 1980er und 90er Jahren an verstreut publizierte Studien des Autors, die allesamt um den vieldeutigen Begriff „Kultur“ kreisen.

Der Verfasser orientiert sich vor allem an Edmund Husserl, Georg Simmel, Ernst Cassirer, Helmuth Plessner und Martin Heidegger. Vier Themenbereiche untergliedern die zentrale Fragestellung: 1. die Bestimmung des Medialitäts- und Orientierungsbegriffes, 2. die Frage nach Ethos und Lebensform, 3. die jeder Kultur innewohnende Kritik und 4. die Bestimmung des Kulturverständnisses zwischen Anthropologie und Metaphysik. Kultur definiert Orth (S.92) als „Welt des Menschen“, wobei dies die Wirklichkeit, die der Mensch selbst ist ebenso umfasst wie die den Menschen umgebende Wirklichkeit. Kultur ist somit bei Orth der Rahmenbegriff für jedes Wirklichkeitsverständnis, hier vollzieht sich alle praktische und theoretische Orientierung im Sinne von deutendem Handeln und handelndem Deuten (S. 215). Seine Grundthese lautet, dass Kultur zunehmend eine metaphysische Funktion erfüllt und die Kulturphilosophie dadurch zur philosophia prima wird. Als zentrale Metapher ist „Orientierung“ konstitutiv für Kultur und bezeichnet das Sich-zurecht-finden in der Welt, die Suche nach Bedeutung. Dieses Problem der Orientierung wird durch das moderne Medienwesen verschärft, wodurch die Welt zunehmend ihre „Lesbarkeit“ verliert. Medialität und Kommunikation sind jeder Gesellschaft immanent, somit entlarvt Orth den Begriff „Kommunikationsgesellschaft“ als Pleonasmus (S.13). Die Medialität der Orientierung vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen Medium und Sinn. Da Kultur immer auch mit Naturhaftem verflochten bleibt, erweist sich selbst der Naturbegriff als ein kulturelles Phänomen. Ein weiterer anthropologischer Grundverhalt, den Orth anspricht, ist die Beziehung zwischen Lebensformen und Normen auf dem Gebiet der Ethik. Der Autor problematisiert des weiteren die Gegenüberstellung von Natur- und Geisteswissenschaften, denn die Naturwissenschaften hätten, so wird argumentiert, einen philosophischen Aspekt, und die Geisteswissenschaften einen empirischen. In gleicher Weise wird die Unterscheidung zwischen Ideologie und Ideologiekritik, zwischen Technik- und Kulturphilosophie hinterfragt. Letztere beschäftigen sich beide mit dem menschlichen Handeln, vor dem Hintergrund des Naturbegriffes könne diese Einteilung jedoch beibehalten werden. T. K.

Orth, Ernst Wolfgang: Was ist und was heißt „Kultur“? Dimensionen der Kultur und Medialität der menschlichen Orientierung. Würzburg: Königshausen & Neumann  2000. 268 S. (Trierer Studien zur Kulturphilosophie; 4) DM 68,- /sFr 61,80 / öS 496,-