Ist der Markt noch zu retten?

Ausgabe: 2010 | 1

Peter Bofinger, einer der der fünf Wirtschaftsweisen Deutschlands, sieht in der lange anhaltenden Wachstumsdynamik der letzten Jahrzehnte die zentrale Ursache für die zunehmende Zurückdrängung staatlicher Regulierung bzw. einer Abwertung des Staates generell: „So kam es, dass sich der Markt immer mehr zu einer Heilslehre entwickeln konnte, in der der Staat nur noch als hinderlich angesehen wurde.“ (S. 9). Die Finanzkrise habe daher die meisten ÖkonomInnen und PolitikerInnen überrascht, dem Staat aber unversehens wieder zu seiner starken Rolle im Wirtschaftsgeschehen verholfen: „Es steht außer Zweifel, dass es heute ohne die massiven staatlichen Eingriffe kein funktionsfähiges Finanzsystem mehr gäbe.“ (S. 8)

 

Auch Bofinger lässt die Finanzkrise Revue passieren. Er ortet finanzpolitische Fehler etwa in der Zinspolitik (zu niedrige Zinsen in den USA, zu hohe in Europa), zentral hält er jedoch die verloren gegangene Machtbalance zwischen Finanzsektor, Markt und Staat: „Die große Masse der Arbeitnehmer wurde vom gemeinsam erarbeiteten Wohlstand der letzten Jahre einfach abgekoppelt, und ihre soziale Absicherung ist deutlich schlechter geworden.“ (S. 9).

 

Nur in einer Beendigung des „Prozesses der Entstaatlichung“ (S. 11) sieht Bofinger eine Chance, den Markt sowie die Demokratie wieder zu stabilisieren. Der für eine bessere Balance zwischen Markt und Staat erforderliche starke Staat sollte kein Polizei- und Überwachungsstaat sein, „sondern ein Staat, mit dem sich die Bürger identifizieren können“ (ebd.). Der Staat müsse sich als „eine Institution präsentieren, die die Interessen der Menschen wirksam gegen die Kräfte des Marktes durchsetzen kann“ (ebd.). Notwendig hierfür seien eine hohe Transparenz über die Staatsausgaben, eine stärker an der Leistungsfähigkeit orientierte Abgabenbelastung und ein rationaleres Verhältnis zur Staatsverschuldung.

 

Bofinger plädiert in diesem Sinne für eine „faire Finanzierung“ der Staatsausgaben. Er zeigt in EU- bzw. OECD-Ländervergleichen die starke Erwerbsarbeitszentrierung des deutschen (und auch österreichischen) Abgabensystem bei einer gleichzeitig hohen Sozialabgabenquote, der eine niedrige Steuerquote (Verhältnis der Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt) gegenüberstehe. Insbesondere die Steuern aus Vermögen und Gewinnen seien verhältnismäßig niedrig. Der Ökonom plädiert dafür, Besserverdienende und VermögensbesitzerInnen mehr zur Finanzierung der Staatsaugaben heranzuziehen.

 

Ausgabenseitig warnt Bofinger vor einer verkürzten Wahrnehmung von Staatsschulden. So hätten GB und die USA nach1945 Staatsschulden von über 200 Prozent des BIP gemeistert, Japan derzeit eine Verschuldung von 160 Prozent des BIP. Das Grundproblem der Forderungen nach einem konsequenten Abbau der öffentlichen Verschuldung bestehe darin, dass sie die Zukunftsvorsorge des Staates eindimensional auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte reduziere: „Es bleibt dabei völlig unberücksichtigt, dass sich der Staat auch aktiv für die Zukunft eines Landes einsetzen muss, indem er in die Infrastruktur sowie in die Bildung investiert und zugleich eine nachhaltige Umweltpolitik betreibt.“ (S. 191). Der Ökonom spricht von einem „magischen Viereck der Finanzpolitik“, das eine Gegenwartsdimension und eine Zukunftsdimension aufweise. Die Abgabenquote sowie die Staatsausgaben für den Gegenwartskonsum sind dabei ersterer, die Schuldensstandsquote sowie die die „Zukunftsinvestitionsquote“ der zweiten Kategorie zuzuordnen (s. Grafik).

 

Magisches Viereck der Finanzpolitik (aus , S. 199)

 

 

 

Entscheidend seien die „wachstums- und  nachhaltigkeitswirksamen öffentlichen Ausgaben“ (WNA), die das Schulwesen, die Universitäten, Wissenschaft und Forschung, familienpolitische Maßnahmen, die aktive Arbeitsmarktpolitik, Maßnahmen des Gesundheitswesens, des Umwelt- und Naturschutzes (einschließlich Förderung erneuerbarer Energien) sowie Ausgaben für Infrastrukturleistungen umfasse. Diese Ausgaben würden (in Deutschland) im Verhältnis zum BIP seit den 1970er-Jahren zurückgehen. Bofinger schlägt einen politisch unabhängigen Zukunftsrat vor, der über die WNA wachen sollte (S. 201).

 

Bofinger fordert weiters – wie andere auch – bessere Verkehrsregeln für die internationalen Finanzmärkte, langfristiges Denken sowie den Schutz der Güter- und Kapitalmärkte vor den „Eskapaden des Devisenmarktes und Wechselkursmanipulationen“ (S. 69) Zentral für all diese Forderungen sei ein starker Staat, der der Marktwirtschaft die  Regeln setzt und nicht umgekehrt. Nur ein starker Staat, der von einer breiten Zustimmung seiner BürgerInnen getragen wird, könne „den Markt auf Dauer vor seinem eigenen Untergang bewahren und damit zugleich die Zukunft der demokratischen Gesellschaft wie der Wirtschaft nachhaltig sichern“ (S. 223). H. H.

 

Bofinger, Peter: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen. Berlin: Econ-Verl., 2009. 252 S., € 19,90 [D], 20,50 [A] sFr 34,80

 

ISBN 978-3-430-30043-8