Irrweg Bioökonomie

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Irrweg Bioökonomie

bioökonomieWeitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit wird derzeit im Windschatten der globalen Finanz und Wirtschaftskrise „an der Umwertung alles Lebendigen in eine beliebig handel- und verhandelbare Ware“ (S. 8 f.) gearbeitet. Die damit einhergehenden Strategien einer mächtigen Allianz aus Industrie, Politik und Forschung aufzuzeigen, über die Potenziale und Risiken dieser Entwicklung zu informieren  und vor allem darzulegen, welche Rolle hierbei von Deutschland eingenommen wird, ist das ambitionierte Anliegen des Bandes „Irrweg Bioökonomie“.

Sachkundig, streitbar und trotz der Komplexität des Themas klar, präzise und allgemein verständlich formuliert, stellt das Autorenduo – Gottwald ist Geschäftsführer der Schweisfurth-Stiftung in München, Krätzer u. a. freiberuflich in den Bereichen Umweltschutz und Wirtschaftsjournalismus tätig – zunächst Begriffe und zentrale Anliegen der Bioökonomie vor, benennt deren Hauptakteure (in Deutschland), diskutiert die trügerischen gesellschaftlichen und technologischen Versprechen der Disziplin, erläutert die Strategien zu einer breiten Implementierung auch gegen wachsenden Widerstand und diskutiert schließlich wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Alternativen.

Nicht etwa die „Ökologiesierung der Ökonomie“, sondern die „Ökonomisierung der Biologie“ ist Ziel der Bioökonomie. Ihr wirtschaftliches Potenzial wird allein in Europa auf 1,5 Billionen Euro pro Jahr geschätzt (S. 14) und vorrangig von Deutschland vorangetrieben. Von maßgeblichen Akteuren (wie etwa der OECD) werde sie als „ein konfliktfreies, konturloses Bild einer vollautomatisierten, klimaneutralen, beliebig form- und beherrschbaren Biotech-Welt gezeichnet, die alles Leben in eine hoch profitable Biomasse verwandelt“ (S. 18). Weltweite Ernährungssicherheit, nachhaltige Agrarproduktion, gesunde und sichere Lebensmittel, die industrielle Nutzung nachwachsender Rohstoffe sowie die Entwicklung von Energieträgern auf der Basis von Biomasse sind lt. BMBF einige mit ihr einhergehende Erwartungen. Das mit dieser Disziplin verbundene Forschungsinteresse spannt sich von der Biotechnologie (Manipulation von Pflanzen, Tier, Mensch und Mikroorganismen) und der synthetischen Biologie (hat die Erschaffung künstlichen Erbguts zum Ziel) bis hin zum „Precisions Farming“ oder zur Produktion von Biokunststoffen [weltweit soll die Produktion von derzeit knapp einer Tonne auf 1,7 Millionen Tonnen bis 2015 steigen,S. 39] bis zur „Nutrigenomik“, die darauf abzielt, „personalisierte“ Lebensmittel zu erzeugen. Die Bundesregierung unterstütze all diese Anliegen vorbehaltlos, konstatiert das Autorenduo, und stehe etwa dem Ziel des Freistaates Bayern, eine gentechnikfreie Zone zu werden, ablehnend gegenüber (S. 52); die Genehmigung „gigantischer Tierfabriken“, ja die „Verwüstung von Luft, Böden und Wasser auf lange Zeit“ werde vorangetrieben. So wird etwa darauf verwiesen, dass zwischen 2009 und 2012 allein in Deutschland mehr als 2,5 Mio. Schweine und 38 Mio. Geflügelmastplätze genehmigt wurden (S. 57), und dies obwohl nach Schätzungen der FAO mit 1,3 Mrd. Tonnen jährlich rund ein Drittel aller Nahrungsmittel verderben (S. 67). Ebenso wenig halten die Versprechen einer „nachhaltigen Agrarproduktion“ oder der „Versöhnung von Ökonomie und Ökologie durch die Ideologisierung von Energieerzeugung und Industrie“ einer kritischen Prüfung stand. Kurzfristiges, lineares und vorrangig profitorientiertes Denken kennzeichne den Irrweg der Bioökonomie.

In Anbetracht einer „auch das Überleben der Menschen selbst gefährdenden Umweltvernichtung“ beginne sich jedoch „eine globale Sensibilität und Nachdenklichkeit herauszubilden“, konstatieren die Verfasser, um darzulegen, wie dieser Entwicklung durch eine Kommunikationsoffensive entgegengewirkt werde, die auf „Scheinoffenheit“, „Infiltration“, „Angsterzeugung“ oder die Suggestion von „Alternativlosigkeit“ abzielt.

 

Alternativen denken, zulassen und umsetzen

Wie dem Diktat der Bioökonomie entgegen gewirkt werden kann, und diesbezüglich konkrete Beispiele aussehen, wird im abschließenden Kapitel diskutiert. Gegenüber „großindustriellen Strategien“ setzen die Autoren auf „flexible regionale Netzwerke mit weitgehend geschlossenen Stoffkreisläufen, eine den jeweiligen Erfordernissen angepasste lokalen Selbstversorgung mit regenerativen Energien, eine an Ernährungssouveränität und relative Ernährungsautarkie orientierte Lebensmittelwirtschaft sowie eine nach Bedarf erfolgende lokale, nationale und globale Vernetzung“ (S. 117). „Die am Kapitalmarkt wie in der Produktion landwirtschaftlicher Güter überall zu beobachtenden Instabilitäten und Volatilitäten benötigen fehlerfreundliche Ansätze statt unflexibler Pauschallösungen.“ (S. 118)

Skizziert werden ferner die Konturen einer postfossilen und postindustriellen Wirtschaft, wie sie von Amory Lovins, Michael Braungart und Gunter Pauli (Konzept der „Blue Economy“) entwickelt wurden. Schließlich werden die Prinzipien „Verantwortung“, „Generationengerechtigkeit“ und „Biodiversität“ als Leitlinien nachhaltigen Wirtschaftens in Erinnerung gerufen, die Forcierung einer „ökologisch-systemischen Forschung“ empfohlen und eine „Politik als Förderer nachhaltiger Alternativen“ gefordert, die sich zumindest dem „Offenhalten von Alternativen“ verpflichtet weiß (S. 148). In Übereinstimmung mit der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Wuppertal-Institut, 2008) werden vier unabdingbare Maßnahmen in Richtung einer ökologisch und sozial gerechten Weltordnung in Erinnerung gerufen: 1.) Menschenrechts- und Umweltverträglichkeit als normative Grundlage internationaler Beziehungen; 2.) Abschaffung von Exporthilfen, die andere Länder benachteiligen; 3.) Gestaltung bilateraler Handelsbeziehungen zu Gunsten von Menschenrechten und Umweltschutz und der Verwirklichung von Ernährungssouveränität in den Entwicklungsländern; schließlich 4.) Bindung transnationaler Unternehmen an soziale und ökologische Standards (S. 149f.). Abschließend skizziert wird eine vom Weltzukunftsrat (WFC) entwickelte Methodologie für eine „zukunftsgerechte Gesetzgebung“, die unter anderem die Prinzipien der Gleichheit, der öffentlichen Teilhabe, der verantwortungsvollen Regierungsführung und der Gemeinsamkeit (zur Sicherstellung von historisch gewachsenen und kulturellen Unterschieden) umfasst.

Zusammengenommen: ein eminent wichtiges Buch, dem große Beachtung und eine folgenreiche Diskussion zu wünschen ist.

Walter Spielmann

Gottwald, Franz-Theo; Krätzer, Anita: Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz. Berlin: Suhrkamp, 2014. 176 S. (ed. unseld; 51) € 14,- [D], 14,40 [A], sFr 21,- ISBN 978-3-518-26051-7