Interventionsmacht statt Rückzug vor dem Neoliberalismus

Ausgabe: 1999 | 3

Im Westen nicht Neues! „Der Neoliberalismus [...] ist das Konzept, das den Interessen dieser Kapital- und Finanzkonzerne entgegenkommt und das als „wirtschaftlicher Sachzwang“ den Programmen der EU, der Welthandelsorganisation, dem Internationalen Währungsfonds und anderen Organisationen den Stempel aufdrückt.“ (Rothschild S.11) Dessen Abdruck kennen wir zur Genüge: schlanker Staat, Kürzung öffentlicher Etats mit Budgetkonsolidierung, Abbau sozialer Errungenschaften, Privatisierung, Deregulierung, Steuerwettbewerb nach unten bei steigender Belastung der Arbeit mit klarer Entlastung des Kapitals, Globalisierung mit transnationalen Konzernen und Finanzinstitutionen als „globlal players“, der Markt letztendlich als Mythos und heilige Kuh. Auch die zugehörigen Erosionserscheinungen in der sozialen Landschaft sind sattsam bekannt: sinkende Beschäftigung, extreme Einkommensschere, steigende Armut bei gleichzeitiger Produktivitäts- und Gewinnsteigerung, Zerstörung kollektiver Strukturen und die Atomisierung der Gesellschaft durch isolierte Individuen, „Ausradierung aller nicht marktfähigen Produktions-, Denk- und Lebensprozesse“ (Firlei, S.107), um nur einige zu benennen. „Das Groteske daran ist, daß die Beseitigung von öffentlicher Interventionsmacht und die Herstellung unbehinderter Marktregulierung in erster Linie die Interessen derer befördert, die diese Märkte beherrschen und damit den Wettbewerb ausschalten können.“ (Hagen, S.16) Zudem weiß niemand so recht, was der Markt eigentlich ist, denn explizite Marktdefinitionen finden sich selten, konstatiert Reinhard Pirker, der die neoliberale Rhetorik untersucht. Doch jeder Ideologie ihre Sprachregelungen.

Brigitte Unger geht dem Ohnmachtsgeplänkel von den wirtschaftspolitischen Sachzwängen gegenüber dem ökonomischen Goliath nach und zeigt, daß es gerade die kleinen Länder sind, die zwar einen geringeren ökonomischen aber einen hohen innenpolitischen Handlungsspielraum haben. Wenn es möglich war, so drastische Maßnahmen wie die Sparpakete und den Abbau des Bildungswesens unter dem hübschen Etikett „Autonomie“ durchzusetzen, warum dann nicht auch ein faires Steuersystem und eine Budgetkonsolidierung, die nicht zu Lasten der Armen geht? Eine peinliche Frage und die Antwort liegt nicht im Primat der Ökonomie über die Politik, sondern bei den Politikern, die die Verantwortung für das Politik-Machen scheuen und in den Märkten, die keine Ökonomie betreiben. Auch Franz Gall setzt bei der Steuerpolitik an und bescheinigt der neoliberalen Finanzpolitik ein glattes Versagen. Ebenso schonungslos seziert Firlei die Auswirkungen des Neoliberalismus auf die Arbeitslandschaft und ihre beängstigende Begrifflichkeit. In diesem Zusammenhang diskutiert er das breite Spektrum der Grundsicherungsmodelle, und verweist mit Nachdruck darauf, daß die Armut nicht nur ein monetäres Gesicht hat. Herausragend ist seine „zivilisationskritische, Sinnkategorien miteinbeziehende Kapitalismuskritik“ (S.112), die zudem das Subjekt, als „puzzleartige, gegenüber den Content-Industries offenen Systemen“ (S.108) wieder thematisiert.

Auch wenn es dem Kampf gegen Windmühlen gleichen mag, sind die AutorInnen im vorliegenden Band angetreten, um gar nicht feige gegen das scheinbar alternativlose neoklassische Paradigma anzuschreiben. Wohltuend ist die offene, klare und z. T. kompromißlose Sprache, wenn es darum geht, die Verhältnisse zu analysieren und sie als das zu benennen, was sie sind: nämlich derart ungeheuerlich, daß sie den Verantwortlichen den Schlaf rauben sollten.

Es wäre höchste Zeit, daß sich die kritischen Stimmen gemeinsam gegen jenen unwürdigen Zustand erheben, „in dem die Dinge im Sattel sitzen und auf den Menschen reiten“ (S. 9). A. E.

Die Armut des Habens. Wider den feigen Rückzug vor dem Neoliberalismus. Hrsg. v. Josef Schmee ... Wien: Promedia-Verl, 1999. 198 S., DM 29,80 / sFr 27,50 / öS 218,-