Imperiale Lebensweise

Ausgabe: 2017 | 4
Imperiale Lebensweise

Ulrich Brand und Markus Wissen haben für die Externalisierungsgesellschaft einen anderen treffenden Begriff geprägt, die „imperiale Lebensweise“. Die ökologische Krise sei als das anzuerkennen, was sie ist: „ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Produktions- und Konsumnormen des globalen  Nordens, wie sie sich mit dem Kapitalismus herausgebildet und schließlich verallgemeinert haben, auch in ihrer ökologisch modernisierten Variante nur auf Kosten von immer mehr Gewalt, ökologischer Zerstörung und menschlichem Leid aufrechterhalten lassen, und auch dies nur in einem kleinen Teil der Welt.“ (S. 16) Als „imperiale Lebensweise“ subsummieren die Autoren den „unbegrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen, die natürlichen Ressourcen und die Senken – also jene Ökosysteme, die mehr von einem bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben wie Regenwälder oder Ozeane“ (S. 43).

An zahlreichen Beispielen zeigen Brand und Wissen unsere Verstrickungen in globale Ausbeutungsverhältnisse. Ein eigenes Kapitel widmen sie dabei der Automobilität, die zum Massengut und damit zu einem zentralen Klimaproblem geworden ist, aber auch neue Klassenschranken aufweist: jene Gruppen ohne Auto sind infrastrukturell benachteiligt und der neue Trend zu SUVs verleiht jenen mehr Sicherheit im Straßenverkehr, die sich die Großwagen leisten können – zum Nachteil der anderen VerkehrsteilnehmerInnen.

Die Autoren setzen sich kritisch mit Ansätzen der „Green Economy“ und der „Ökologischen Transformation“ auseinander, die (weitgehend) im herkömmlichen Konsumdenken verhaftet blieben. Die Schwierigkeiten eines grundlegenden Wandels lägen dabei im „Doppelcharakter der imperialen Lebensweise als struktureller Zwang und Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten“ (S. 18). In anderen Worten: „Die Orientierung an der Profitmaximierung  statt an der Befriedigung von Bedürfnissen hat eine zuvor ungekannte Produktivkraftentwicklung freigesetzt, die die ökonomische Überlegenheit der kapitalistischen gegenüber anderen Gesellschaften begründet.“ (S. 172). Mit Jared Diamond gesprochen, bereite die „Reproduktion jener Strukturprinzipien“, die zum Erfolg einer Gesellschaft geführt habe, deren Untergang vor (ebd.).

 Wo liegen Zukunftswege?

Brand und Wissen sprechen von „Konturen einer solidarischen Lebensweise“ (S. 165). Eine „Gegenhegemonie“ zur „imperialen Lebensweise“ bedeute „neben Auseinandersetzungen um andere Regeln, um politische und wirtschaftliche Strategien, um Investitionen und die Verfügung über Produktionsmittel auch, bestimmte Formen des Alltags nicht mehr leben zu wollen beziehungsweise ganz praktisch nicht mehr zu leben.“ (S. 178) Uns nicht mehr als autonome Subjekte am Markt zu begreifen, die ihren Nutzen maximieren, sondern als „verletzliche Wesen“ (S.179), die sich in Gesellschaft und Gemeinschaft gemeinsam reproduzieren, sei ein wesentlicher Schritt hin zu einer „Care-Revolution“ (ebd.). Radikale Arbeitszeitverkürzungen, die  Aufwertung der Sorgetätigkeiten jenseits des Marktes sowie der Aufbau sozialer Infrastrukturen wären Schritte dahin, die Degrowth- oder Postwachstumsperspektive ein kritischer Stachel gegen den kapitalistischen Verwertungs- und Akkumulationsimperativ. Die Informationen über die externalisierten Folgen unseres gegenwärtigen Konsum- handelns seien vorhanden, aber es fehle das entsprechende Handeln. Brand und Wissen insistieren daher abschließend auf politischen Änderungen. Es gehe um die Frage, „wie Gesellschaft verfasst sein muss, damit sich eine solidarische Lebensweise entfalten kann“ (S. 184).

Einschätzung: Dass es hierfür bereits viele theoretische wie praktische Ansätze gibt, machen zahlreiche in PZ in den letzten Jahren vorgestellte Publikationen deutlich. Veränderungen werden an vielen Stellschrauben anzusetzen haben, an der (Arbeits-)-Zeitpolitik ebenso wie an der Neujustierung der Steuersysteme. Offen bleibt – auch im vorliegenden Buch –, ob und wie in der Tat andere, gemeinwirtschaftlich orientierte Produktionsverhältnisse flächendeckend gelingen sollen, etwa durch Genossenschaften, Gemeinwohlökonomie-Unternehmen oder Netzwerke einer solidarischen Landwirtschaft, und ob das Grundein- kommen ein Schritt dahin oder eben die erneute Abhängigkeit vom Kapitalismus bedeutet, da dieses aus dessen Steuern finanziert werden muss. Hans Holzinger

Bei Amazon kaufen Brand, Ulrich; Wissen, Markus: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom, 2017. 224 S.,

€ 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-843-0