Herausforderungen für die deutsche Industrie

Ausgabe: 1996 | 2

Auf welche Rahmenbedingungen muß sich die Industrie in Volkswirtschaften mit hohem Wohlstandsniveau langfristig einstellen, wenn sie im internationalen Wettbewerb bestehen will? Diese Frage steht im Zentrum eines von der deutschen Bundesregierung einberufenen Expertenkreises aus Industrie und Wissenschaft, dessen erste Ergebnisse der vorliegende Band dokumentiert. Als wesentliche Empfehlungen werden darin zusammengefaßt:

  1. Dezentralisierung der Unternehmen durch flache Hierarchien, Teamfertigung und netzwerkförmige Organisationen, auch wenn dies den Kommunikationsaufwand erhöht ("Schnittstellenmanagement");
  2. Ausgehen von einem komplexen Innovationsverständnis, das neben Produkt- auch Prozeß- und Sozialinnovationen umfaßt; damit zusammenhängend,
  3. die Entwicklung und Ausschöpfung der Fähigkeiten und Potentiale der Mitarbeiterinnen;
  4. umweltschonendes Wirtschaften in Kreisläufen (als Stichworte werden genannt: produktionsorientierter Umweltschutz, branchenübergreifendes Stoffstrommanagement sowie ein die Wiederverwertung berücksichtigender Ansatz der Produktentwicklung);
  5. aktives Reagieren auf die Globalisierung der Produktionsprozesse durch bewußte Forcierung des Strukturwandels der Industrie mit den notwendigen Veränderungen im Qualifikations- und Arbeitsmarktbereich.

Für Unternehmen von großem praktischen Wert ist das Konzept einer von einer Unterarbeitsgruppe erstellten “Innovationsmorphologie", mit deren Hilfe Veränderungsprozesse entwickelt und situativ eingeordnet werden können. Aufschlußreich ist der Beitrag über Umweltprobleme der Zukunft, die als neue Marktchancen für die Industrie gesehen, aber auch als frühzeitig zu kalkulierende betriebswirtschaftliche Restriktionen (in Form von Auflagen, Ressourcensteuern usw.) benannt werden. Aufhorchen läßt ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft durch Heiner Flassbeck vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der entgegen der derzeit vorherrschenden Schule der Geldrestriktionspolitik einer aktiven Wirtschaftspolitik das Wort redet. Das Erfolgsgeheimnis der asiatischen Staaten einschließlich Chinas sieht der Ökonom in der Entfesselung einer" Investitionsdynamik im Inneren", die auf Eigenkapitalbildung baut und damit mehr Erfolg habe als die "orthodoxe Strategie" geldpolitischer Restriktionen, die etwa in Lateinamerika erfolglos betrieben wurde und in Westeuropa mehr als der vielbeschworene Strukturwandel für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich zeichne. In Anlehnung an F.A. Hajek und J. A. Schumpeter rät Flassbeck auch zur begrenzten Abschottung aufholender Volkswirtschaften (durch niedrige Wechselkurse, Einschränkung der Währungskonvertibilität und Einführung von Zöllen). Der EU schließlich rät er zur Konzentration auf den eigenen Markt. Mehrfach betont wird auch eine aktive Rolle des Staates als Förderer nicht nur von neuen Technologien, sondern auch von Produktinnovationen - "von der Idee über den Prototyp bis hin zur marktfähigen Ware" -, da nur so dauerhaft Arbeit geschaffen werden könne. H. H. 

 

Produzieren im 21. Jahrhundert. Herausforderungen für die deutsche Industrie. Ergebnisse des Expertenkreises “Zukunftsstrategien" Bd. 1. Hrsg. v. Burkhart Lutz ... Frankfurt (u.a.): Campus, 1996. 328 S. (Veröffentlichungen aus dem Inst. f. Sozialwissenschaftl. Forschung, ISF München)