Hat der Glaube Hoffnung?

Ausgabe: 2001 | 2

Der streitbare Theologe Eugen Drewermann ist ein enorm produktiver Autor, der mittlerweile auf mehr als 60 Buchpublikationen zurückblicken kann. Das vorliegende Buch gehört sicherlich zu seinen besten. Selten zuvor hat er die Schattenseiten der Religionen so klar hervorgehoben, ihre Funktion als Herrschafts- und Vertröstungsmittel in dieser Schärfe attackiert.

„Kein Krieg ohne kirchlichen Beistand“, schreibt Drewermann. Ob bei den Giftgasangriffen vor Verdun oder beim Abwurf der Atombombe auf Hiroshima – geistliche Würdenträger standen den Militärs stets hilfreich zur Seite. Drewermann kommentiert: „So nutzte die Religion dem Staatserhalt, so diente sie der Stählung und Stärkung des Gruppenegosimus der jeweiligen Kirchenklientel, so erwies Gott der Allmächtige seine Macht   und war doch bei alledem nichts weiter als ein ohnmächtiger Popanz, ein mißbrauchter Götze in den Händen spielender Pastöre, ein scheinbar unentbehrliches Dekorativum bestimmter Traditionsverbände. Zu spät der Aufruf der römischen Kirche im Jahre 2000 für eine Generalamnesie all ihrer Fehler und Verbrechen. Die Toten stehen nicht mehr auf, und die Überlebenden sind gewarnt.“

Trotz der fundamentalen Kritik, die Drewermann an religiösen Institutionen (vor allem der katholischen Kirche) übt, setzt er große Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Glaubens, der ihm als eine notwendige Alternative zur zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse erscheint. Ein solcher zukunftsfähiger Glaube müsse, so legt er unter Berufung auf die Geschichte des Jeremia dar, von jeglichen Formen der Fremdbestimmung und Außenlenkung befreit werden, die Zukunft der Religion liege allein im persönlichen Erleben der Individuen   jenseits der dogmatischen, lebensverneinenden Vorgaben religiöser Institutionen. Um diese Position zu begründen, sucht Drewermann u.a. Rat bei fernöstlichen Religionen und Weisheitssystemen (Buddhismus, Hinduismus, Taoismus). Diese hätten, so Drewermann, in vielen Punkten einen reiferen Zugang zu Gott bzw. zum Leben gefunden als das institutionalisierte Christentum.

Den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam empfiehlt Drewermann, an die Stelle einer „historisch-äußerlichen Interpretation” der jeweiligen Quellentexte eine „symbolisch-innerliche” zu setzen. Während die historische Interpretation auf eine Begründung von religiöser und militärischer Gewalt  hinausliefe, könne die symbolische Deutung den „Heiligen Krieg” entschärfen und als liebevolle Aufforderung zum Kampf mit dem „Unglauben im eigenen Herzen” begriffen werden.

Drewermann gibt sich in der Folge sehr viel Mühe, Möglichkeiten und Ergebnisse einer solchen symbolischen Deutung aufzuzeigen. Es bleibt aber fraglich, ob die von ihm dargelegte Perspektive überzeugend ist. (Wie soll man es z.B. symbolisch und „liebevoll” deuten, dass Gott nach Dt 7,1.2.5.16 die Völker der “Hethiter, Girgasiter, Amoriter Kanaaniter, Persiter, Hewiter und Jebusiter ausrottet” und auch seinem eigenen, „auserwählten Volk” befiehlt, keinerlei Gnade zu üben?)

An dieser Stelle zeigt sich die entscheidende Schwäche des Buches. Um die explosiven, menschenverachtende Gehalte der religiösen Quellentexte zu entschärfen, geht Drewermann mit der Bibel, dem Koran und der Thora um, als habe er Grimms Märchen vor sich liegen. (Bekanntlich hat er auch diese bereits einer neopsychoanalytischen  Interpretation unterzogen.) Hieran wäre freilich nichts auszusetzen, wenn Drewermann diesen kritischen Denkansatz, der letztlich auf eine radikale „Entzauberung“ religiöser Glaubenssätze hinausläuft, konsequent zu Ende führen würde. Stattdessen aber verwendet er weiterhin religiöse Leerformeln, die rein sprachlich noch den Kontakt zu einer Tradition aufrechterhalten, die er inhaltlich längst verlassen hat. (Nicht ohne Grund hat ihn auch daher die römische Kirche vor zehn Jahren vom Priesteramt suspendiert.)

Fazit: Drewermanns Kritik an institutionalisierter Religion, Staat und Wirtschaft ist über weite Strecken klar, präzise und sprachlich geschliffen (auch wenn er z.B. die Herrschaftsfunktion östlicher Religionen völlig übersieht). Im Kontrast hierzu wirken seine Lösungsangebote merkwürdig nebulös und in sich widersprüchlich. (Man fühlt sich an einen Ausspruch Jean Amérys erinnert, der hinter der scheinbar progressiven „Theologie der Lehrformeln“ eine „nicht eingestandene Selbstsäkularisierung des Christentums“ vermutete.) Möglicherweise aber macht gerade dieser Bruch das Buch interessant: Die Diskrepanz zwischen der Erkenntnis des Bedrohungspotentials, das von den Religionen ausgeht, und der Schwierigkeit, diesem Bedrohungspotential eine tragfähige, menschliche Alternative entgegenzusetzen, kam selten so deutlich zur Geltung wie hier. M. S.-S.

Drewermann, Eugen: Hat der Glaube Hoffnung? Von der Zukunft der Religion am Beginn des 21. Jahrhunderts. Düsseldorf: Walter-Verl., 2000. 327S., DM 49,80 / sFr 46,- / öS 364,-