Grundlage einer Theorie der Neomoderne

Ausgabe: 1999 | 3

Das Gelingen einer „ökologischen“ (L. Brown) oder „globalen“ Revolution hängt, wie u. a. King/Schneider in ihrem Bericht an den ‚Club of Rome‘ (1991) feststellten, davon ab, eine „weltweit allgemein geteilte Grundlage gemeinsamer oder miteinander verträglicher Werte" herauszubilden. Eurozentrische Denken in der Abfolge von Prämoderne, Moderne und Postmoderne - dies zeigt M. Schmidt-Salomon im ersten Abschnitt dieser ambitionierten Arbeit (zuerst erscheinen als von R. Schwendter und H. Seiler betreute Dissertation) - kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Denn jedes dieser Konzepte steht der Entwicklung einer zugleich einheitlichen und vielfältigen Weltkultur entgegen. So sei etwa die Postmoderne eine „Diktatur des Hier und Jetzt“ (S. 71), die anstelle der notwendigen und radikal-utopischen Veränderung dem „Willen zur Ohnmacht“ huldige.

Der Autor geht über eine fundierte Kritik der Gegenwart jedoch entschlossen hinaus: Seine „Theorie der Neomoderne“ zielt darauf ab, „postmodernes Beliebigkeitsdenken zu überwinden, ohne dabei prämoderner oder moderner Dogmatik zu verfallen. Gegründet ist die explizit auf Zukunftsfähigkeit abzielende Neomoderne auf die auf N. M. Roh und Erich Fromm zurückgehende „Humanistische-Basis-Satzung“, der zufolge „alle [auch zukünftige] Menschen frei und gleichberechtigt in ihrem Streben sind, ihre Vorstellungen von ‚gutem Leben‘ im Diesseits zu verwirklichen, sofern dadurch nicht die Interessen anderer in Mitleidenschaft gezogen werden...“ (vgl. S. 81) Neomodernes Denken ist zudem ‚postreligiös‘, ‚posttraditional‘‚ ‚postnational‘ und ‚zukunftsbezogen, aber nicht gegenwartsblind‘.

Diese Kriterien erprobt Schmidt-Salomon in der Folge exemplarisch an Pädagogik (Teil 2) und Wissenschaft (Teil 3), wobei im Durchlauf mehrerer „Reflexe und Reflexionen“ zu neokonservativer, emanzipatorischer und moderner Pädagogik die Konturen einer Bildung/Erziehung „jenseits von Befreiung und Bevormundung“ entwickelt wird.

Der Notwendigkeit zur Wertefreiheit entledigt, sieht Schmidt-Salomon wissenschaftliches Interesse vor allem geleitet vom „Willen zu Erkenntnis aus Engagement“. Eine von Partikularismus, Hierarchie und Bevormundung befreite, demokratisch legitimierte Wissenschaft sieht der Autor in der Lage, den „Teufelskreis der Zerstörung“ zu durchbrechen und durch die „Spezialisierung auf den Zusammenhang“ eine „zukunftsfähige Problemlösungsstrategie“ zu entwickeln (vgl. S. 430ff.).

Eine im besten Sinne ehrgeizige, richtungsweisende Arbeit. Indem Schmidt-Salomon den „Willen zur Utopie, zur Realisation des eigentlich Unmöglichen“ einfordert (S. 442) und selbst in dieser Richtung Akzente setzt, leistet er einen wichtigen Beitrag zur Wiedererlangung von Zukunftsfähigkeit. Dem trotz der Komplexität des Gegenstandes lebendig und nachvollziehbar formulierten Text ist breite Aufmerksamkeit zu wünschen, gerade auch weil sich über manches Detail trefflich streiten läßt. W. Sp.

Schmidt-Salomon, Michael: Erkenntnis aus Engagement. Grundlagen zu einer Theorie der Neomoderne. Eine Studie zur (Re-)Konstruktion von Pädagogik, Wissenschaft und Humanismus. Aschaffenburg: Alibri-Verl., 1999. 486 S. DM 39,- / sFr 36,- / öS 285,-