Gesellschaft heute: Lebensstil anstatt Verantwortung

Ausgabe: 1995 | 1

Ausgehend von Ciceros Staatsphilosophie und dessen Definition der “res publica". in der alle, die sich unter ihr Recht stellen, in einer Gemeinschaft des Nutzens vereinigt sind, blickt Kühnhardt auf die heutige Gesellschaft, die sich in widerstrebende Interessen aufzulösen scheint und sich durch Egoismus und "Selbstverwirklichungswahn" auszeichne: " ... statt Verantwortung ist heute viel von Lebensstil die Rede".

Der Staat werde zunehmend als "Dienstleistungsunternehmen " betrachtet; "Wohlstandsmehrung" sei zum Hauptziel geworden, wobei die Grenzen des Wachstums nicht beachtet würden. Ähnlich verhalte es sich mit der Autonomie des Menschen und einem "überdehnten Liberalismus", der ein "selbstzerstörerisches Potential" beinhalte. Der Modebegriff “Politikverdrossenheit" bezeichne die Enttäuschung, die zu hohe, an die Politik gestellte Forderungen nach sich zögen; diese Unzufriedenheit äußere sich in Politikerschelte und dem "Ruf nach einer starken Hand". An die Möglichkeit eines eigenen Beitrages zum Gemeinwohl denke dabei so gut wie niemand. Auch die Medien und ihr schlechter Einfluß auf die Gesellschaft sowie der schwindende Einfluß der Kirche werden massiv kritisiert.

Eine wirklich zukunftsweisende Perspektive, die darlegt wie eine Verbesserung dieser Situation zu erreichen wäre, sucht man indes vergeblich. Die Vorschläge, "die Pflichten wieder neben die Freiheiten zu stellen" oder "Verantwortungseliten " herauszubilden und Staat und Kirche in ihrem Einfluß wieder zu stärken, wirken eher reaktionär, als daß sie neue Diskussionsanstöße bieten würden. Wer sich von dem interessant klingenden Titel verführen läßt, wird merken, daß er außer einer tristen und moralisierenden Zustandsbeschreibung der Gesellschaft und des "Gemeinsinns" nicht allzuviel zu bieten hat.

V S. P 

Kühnhardt, Ludger: Jeder für sich und alle gegen alle. Zustand und Zukunft des Gemeinsinns.

Freiburg (u.a.): Herder, sFr 14,80 /öS 116,-  1994.  139 S