Gerechte Arbeit

Ausgabe: 2013 | 4

In der Diskussion über Gerechtigkeit kann man auch auf Karl Marx zurückgreifen. Rahel Jaeggi und Daniel Loick werfen in ihrem Sammelband die Frage der Aktualität von Karl Marx auf. Marx liefere keine Antworten auf die aktuelle ökonomische Krise. Er liefere auch keine „Wiederbelebung der Utopie“, so die Herausgeber. Sie entwerfen ein Bild vom Marxschen Werk, bei dem Marx als „Anreger und Dialogpartner“ für aktuelle Fragestellungen zu sehen ist.

 

Jaeggi und Loick haben einen Band vorgelegt, in dem sich 20 Autorinnen und Autoren mit Aspekten des Werkes von Karl Marx auseinandersetzen. Fast alle Beiträge arbeiten mit Karl Marx Ideen dabei undogmatisch: Versuchen ihn zu verstehen, zeigen aber auch Widersprüche und Schwächen in Marx Werk auf.

 

Die Liste der Autorinnen und Autoren umfasst unter anderen Axel Honneth, Moishe Postone, Ètienne Balibar und Alex Demirovic. Die Themen reichen von den Kapiteln „Freiheit und Gemeinschaft“, „Normativität und Kritik“, „Wahrheit und Ideologie“, „Recht und Subjektivität“ über „Kapitalismuskritik und Klassenkampf“ bis zu „Politische Praxis“.

 

Ein interessantes Beispiel für die Qualität des Buches ist der Text von Daniel Brudney, der den jungen Marx mit dem mittleren John Rawls in Verbindung setzt. Brudney bringt den Gesellschaftskritiker des 19. Jahrhunderts mit dem Gerechtigkeitstheoretiker des 20. Jahrhunderts ins Gespräch. Rawls hatte bekanntlich mit einer „Theorie der Gerechtigkeit“ Grundsätze für eine gerechte Gesellschaft entworfen. Erstens: Jede Person soll über das gleiche Recht zur weitestreichenden grundlegenden Freiheit verfügen, die mit einer ähnlichen Freiheit für andere vereinbar ist. Zweitens sollen soziale und ökonomische Ungleichheiten so gestaltet werden, dass sie sowohl a) zum größten Vorteil für die am wenigsten Begünstigten als auch b) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen unter den Bedingungen fairer Chancengleichheit offenstehen. Brudney sucht nun die Gemeinsamkeit mit Marxschen Entwürfen eines Kommunismus, wie er sie in (wenigen) Teilen des Marxschen Werkes findet.

 

Verteilung neu regeln

 

Der spannende Dialog zwischen den beiden Denkern führt zu einem klaren Erkennen der Unterschiede. Während Rawls Gerechtigkeit anstrebt, indem die Verteilung neu geregelt wird, geht es bei Marx´ Gerechtigkeit bereits um die Produktion des Reichtums. Für Marx muss nicht nur der Reichtum gerecht verteilt werden, auch die Produktionsweise muss verändert werden, um die Entfremdung von der Arbeit aufzuheben. Damit kritisiert Marx, dass Arbeit lediglich als Mittel zur Finanzierung der Freizeit gesehen wird (werden kann) und nicht als Sphäre der Selbstverwirklichung.

 

„Der Rawls der Theorie (der Gerechtigkeit) und der Marx von 1944 teilen mehr, als gemeinhin angenommen wurde“, so Brudney. Brudney sieht es als möglich an, dass man mit Marx die Verteilungsprinzipien Rawls gutheißt. Er erwartet aber, dass dies mit Skepsis getan werde, weil damit die Motivation zur radikaleren Aufhebung der Entfremdung im Produktionsprozess sinke. (S. 162)

 

Jaeggi, Rahel; Loick, Daniel: Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis. Berlin: Suhrkamp, 2013. 518 S., € 22,00 [D], 22,70 [A], sFr 30,80 

ISBN 978-3-518-29666-0