Käufliche Experten machen Lobbying für die Industrie

Ausgabe: 1994 | 3

Experten - angeblich mit Sach-Verstand - dominieren zunehmend die gesellschaftlichen Reglementierungsmechanismen vom Lobbying vor der Gesetzwerdung bis zum täglichen Vollzug (v.a. im Gerichtssaal). Die meisten drastischen Beiträge - vor allem aus Deutschland und den USA, aber auch aus der UN-Atombehörde - klagen konkret Handlungen bzw. Unterlassungen von Personen und Firmen an. Sie entlarven gekaufte Schreibtischtäter, die mit ihren Expertisen z.B. zur „Un- bzw. Mindergefährlichkeit" von Atom- und Gentechnologie, von Lösungsmitteln, Dioxin und psychiatrischer Maßnahmen das Leben einzelner oder Gruppen gefährden.

Wenn diese Betroffenen es wagen, mit juristischen Mitteln dagegen anzukämpfen, tritt ihnen eine Macht entgegen, die ihnen mit eskalierenden Prozesskosten und Schadenersatzforderungen wegen Geschäftsschädigung droht. Jene wenigen Sachverständigen (Robert Jungk würdigte ihre Funktion als "whistle-blowers"), die es wagen, als geheime Informanten dieses etablierte Geflecht zu denunzieren, werden oft von ihren Kollegen als Nestbeschmutzer ausgegrenzt und riskieren ihre berufliche Existenz. Ohnmächtige Bedrohungsängste, Zorn und Wut der Betroffenen, die sich immer öfter undifferenziert entladen, will Stefan Pflugbeil in konstruktive Bahnen lenken.

Er fordert unter anderem einen Moralkodex für Experten, ähnlich dem hippokratischen Eid, eine Ausbildung der Juristen auch in Medizin, Chemie, (Atom-)Physik usw. weiters die Einschränkung der Quantität von Gutachten und Kontrolle ihrer Qualität und schließlich die Umkehr der Beweislast zu Gunsten der klagenden Bürger.

M. Rei.

Käufliche Wissenschaft. Experten im Dienst von Industrie und Politik. Hrsg. v. Antje Bultmann ... München: Knaur, 1994. DM 12,90/ÖS 132,-/ sFr 13,90