Falle Individualisierung. Kreativität gibt es nur im Plural!

Ausgabe: 1999 | 2

Einst wurden die Chancen der Individualisierung als Kind der (Spät)Moderne (Ulrich Beck, 1995) im Sinne von mehr Freiheit höher bewertet als ihre Risken bzw. negativen Folgen (Überforderung, Streß). Dagegen wendet sich nun der Pädagoge und Mitbegründer des Instituts für Synergie und soziale Innovationen (ISI), Olaf-Axel Burow, indem er Möglichkeiten gegen den Trend des Einzelkämpferdaseins aufzeigt.

Das wahre Potential jedes einzelnen, so die These Burows, kommt nicht im stillen Kämmerlein, sondern „aus der Improvisation innerhalb einer Gruppe“ zur Geltung. Die Kreativität braucht aber einen entsprechenden Freiraum, ein entsprechend aufgebautes soziales und kulturelles Umfeld, eben ein „Kreatives Feld“. Die dazu notwendigen Voraussetzungen, Maßnahmen, Methoden und Prinzipien stellt der Autor in diesem Band vor.

Am Beispiel der „Comedian Harmonists“ zeigt Burow eindrucksvoll, wie ein solches „Kreatives Feld“ entsteht. Er macht deutlich, daß man weder ein früher Meister sein noch über genialische Fähigkeiten verfügen muß, um zu schöpferischen Höchstleistungen zu gelangen. Methoden zur Schaffung „Kreativer Felder“ sieht der Pädagoge in der Überwindung des Spezialistentums und der Bildung von Diskursgemeinschaften. Neben der Fähigkeit zum Dialog (Persönlichkeit konturiert sich erst im Dialog zwischen Ich und Du) ist die Einigung auf ein Ziel (eine Vision), die Überwindung des eigenen begrenzten Blickwinkels (Vielfalt), Personenzentrierung (nur profilierte Egos können sich zu einem „Kreativen Feld“ zusammenschließen) sowie die Herausforderung in kreativer Konkurrenz (Synergieprozeß), Partizipation (Bescheidenheit) und die Beachtung des Prinzips Nachhaltigkeit (Kreativität ist kein Wert an sich, sondern immer auf ihre Folgen bezogen) notwendig.

Burow formuliert, anknüpfend an die soziologische Feldtheorie Bourdieus und die sozialpsychologische Feldtheorie Lewins eine „Theorie des Kreativen Feldes“. Dabei geht es v. a. darum, die in jedem schlummernden ungenutzten Potentiale zu erschließen und zu lernen, die Feldperspektive stärker zu berücksichtigen und passende Synergiepartner zu finden. Der Autor plädiert für die Abschaffung des überholten Genie-Kults, den schöpferische Leistungen können auch durch die Kombination von vergleichsweise durchschnittlich begabten Personen entstehen.

In einer Zeit, in der die Ökonomisierung des Individuums voranschreitet, gelingt Burow ein beachtenswertes Manifest gegen die Aufrüstung des Individuums. Nicht nur mit dem eindrucksvollen Beispiel der „Comedian Harmonists“ versteht er es, dem Leser Mut zu machen, die eigenen Potentiale (wieder) zu entdecken. A. A.

Burow, Olaf-Axel: Die Individualisierungsfalle. Kreativität gibt es nur im Plural. Stuttgart: Klett-Cotta, 1999. 163 S., DM 32,- / sFr 29,50 / öS 234,-