Evolutionstheorie und Erkenntnistheorie

Ausgabe: 1987 | 2

Wenn ein Biologe die Evolution und die Geschichte dieser Disziplin behandelt, so spricht er als Fachmann. Äußert er sich aber zu Natur und Gesellschaft, Ökologie und Ökonomie, spricht er gar über die Grenzen von Kunst und Freiheit, befindet. er sich zweifellos in Nachbars wissenschaftlichem Gärtchen: Zustimmung zu solch notwendig gewordener Grenzüberschreitung, aber auch Vorsicht und vor allem Aufmerksamkeit sind am Platz. Riedl, Schüler und Freund von Konrad Lorenz, ist Wegbereiter der »Evolutionären Erkenntnistheorie«. Man sucht nach den Bedingungen unseres Kenntnisgewinns und will ergründen, »wieso es bei unserer Vernunft so unvernünftig zugeht.« Der Hausverstand unserer Spezies, der Fachmann spricht vom –„ratiomorphen Apparat“, ist von der Komplexität unserer Zivilisation schlicht überfordert. Seit Jahrtausenden unverändert, genügt er dem Bedarf eines Primaten (in einer überschaubaren Welt zu überleben), während wir mit dieser Ausrüstung darangehen, die Welt verstehen und erklären zu wollen. Offenkundig, dass wir dabei mit unzulänglichem Rüstzeug zu Werke gehen. Das altertümliche Prinzip assoziativen Lernens durch Wiederholung und Vergleichen (nach welchem gleiche Dinge dieselbe Ursache und denselben Zweck haben) erweist sich in begrenztem Rahmen als brauchbar, versagt aber zunehmend im extrapolierenden Verfahren. Wir besitzen kein ausgebildetes Verständnis für Systeme oder Phasenübergänge und sind nur unzureichend in der Lage, die vielschichtige Wechselwirkung von Ursachen und Zwecken zu begreifen. Diesem Mangel entspringt die Spaltung unseres abendländischen Weltbildes in Materialismus und Idealismus, Empirismus und Rationalismus (und alle weiteren »-ismen«). Ist der Mensch ein Opfer seiner eigenen Entwicklung, eine der vielen Sackgassen der Evolution? Nicht unbedingt, denn wir haben die Chance, traditionelle Denkmuster unserer Kultur hermeneutisch (»im Blick nach oben und unten, innen und außen«) zu überwinden. Der fehlgeleiteten Aufklärung, die an die Macht des Machbaren glaubte, wird (rechtzeitig?) eine Bescheidenheit der Abklärung zu folgen haben. Es gilt, die Grenzen der menschlichen Vernunft zu erkennen und auch anzunehmen. Wenn wir nicht, nachträglich rationalisierend, enttäuschte Erwartungen in unser bisheriges Weltbild einbauen, sondern gescheiterte Prognosen als Möglichkeit zu einem Neubeginn sehen, können wir weitere Dimensionen der Erkenntnis gewinnen. Wie die Beschränkungen einer linearen Logik und Sprache (vgl. auch 87*45) selbst gegen unsere erblichen Anschauungen korrigiert werden können, hat u.a. Einstein exemplarisch gezeigt. 

Die traditionelle akademische Fächer und Grenzen überschreitende, natur- und geisteswissenschaftliche Methoden verknüpfende Darstellung stimmt hoffnungsvoll. Hier bahnt sich neues Denken an, an dem uns gelegen sein muss, wenn wir den Wettlauf gegen unsere eigene (Un-)Vernunft noch gewinnen wollen. Entscheidend dazu beitragen könnte eine Bildung, die nicht nur die Leistungen des menschlichen Geistes, sondern auch dessen Beschränkungen deutlich vermittelt.

Riedl, Rupert: Kultur - Spätzündung der Evolution. Antworten auf Fragen an die Evolutions- und Erkenntnistheorie. München (u.a.): Piper, 1987. 355 S.