Erfolgsbedingungen lokaler Bürgerbeteiligung

Ausgabe: 2008 | 2

Die repräsentative Demokratie steht heute vor zahlreichen neuen Herausforderungen (etwa in der Klimafrage, bei der Ablöse fossiler Energieressourcen oder der Kontrolle globale Finanztransaktionen), die nicht mehr allein durch nationale Regierungen gelöst werden können. Gefragt sind zunehmend supranationale Problemlösungsstrukturen, die wiederum die Frage nach deren demokratischer Legitimation nach sich ziehen. Andererseits, so die Herausgeberin Angelika Vetter vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, fordern die Bürger von der Politik zunehmend effiziente und effektive Problemlösungen. auf lokaler Ebene. Betroffenheit und die Zunahme individueller Kompetenzen führt zudem zu neuen Beteiligungsbedürfnissen auf lokaler Ebene. Partizipation ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts geradezu „in“.

 

Der Beiträge des vorliegenden Sammelbandes beschäftigen sich mit unterschiedlichen Formen lokaler Bürgerbeteiligung und dokumentieren zugleich die Vielfältigkeit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg einer Beteiligungsform ausschlaggebend sind, denn Bürgerbeteiligung sollte nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern ein Mittel zum Finden zukunftstauglicher Lösungswege für kleine und große Probleme sein. Die Bandbreite reicht dabei von der Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen, die Mitarbeit in lokalen politischen Parteien über direktdemokratische Mitwirkungen (Mediationsverfahren, Bürgerforen, Planungszellen, Bürgerinitiativen, Unterschriftenschafflungen und Protestaktivitäten) bis hin zu Beteiligungen durch Interessengruppen und die „Mitwirkung an dialogorientierten Partizipationsformen“ (S. 10).

 

Der historische Rückblick auf die letzten 50 Jahre zeigt, dass in den 60er Jahren die Bürger ihre lokalen politischen Interessen lediglich bei Wahlen zu den Gemeindevertretungen wahrnehmen konnten. Neue Bürgerbeteiligungsformen wie z. B. Anhörungs- und Informationsrechte, Planungszellen oder Bürgerinitiativen entstanden erst im Zuge der „partizipatorischen Revolution“ in den 70er Jahren. Zu Beginn der 90er Jahre, so die Herausgeberin, kam es zu einer nahezu „revolutionären“ Veränderung der Kommunalverfassungen, als kommunale Bürgerbegehren und –entscheide bundesweit (in Deutschland, Anm. d. Red.) institutionalisiert wurden. „Unterstützt werden all diese Partizipationskomponenten auf lokaler Ebene durch den zunehmenden Ausbau der Information und Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung über das Internet.“ (S. 12) Besonders positiv bewertet die Autorin die Formen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, weil hier die Entscheidungskompetenz im Falle eines Zustandekommens in den Händen der Bürger liegt. Einschränkend merkt sie jedoch an, dass bislang davon „noch kein übermäßiger Gebrauch gemacht“ wird, wenn pro Jahr nur etwa in jeder sechzigsten Kommune ein entsprechendes Verfahren stattfindet. „Alle übrigen Formen lokaler Bürgerbeteiligung sind eine Sache von Minderheiten.“ (S. 15) Schließlich weist die Autorin noch darauf hin, dass in den letzten Jahren die lokale Wahlbeteiligung auffällig stark zurückgeht und inzwischen kaum mehr als 50 Prozent (in den 90er Jahren waren es noch über 70 Prozent) beträgt. Angesichts dieses deutlichen Rückgangs der lokalen Wahlbeteiligung stellt sich für sie die Frage nach der zukünftigen Legitimation lokaler Entscheidungen und ihrer Rückbindung an die Interessen der Bürger. Genau dieser Aspekt ist es auch, warum die Frage nach den Zielen der Beteiligung als Voraussetzung für den Erfolg mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Als Erfolgskriterien gelten dabei für Brigitte Geißel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Legitimität, Effektivität, demokratische Qualifizierung der Bürger sowie die Bildung von Sozialkapital (vgl. S. 21).

 

Volker Mittendorf, Mitarbeiter an der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie der Universität Marburg, beschäftigt sich mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die mittlerweile in allen Bundesländern zwar eingeführt wurden, deren „konstruktive Einbindung in den repräsentativen Normalprozess (allerdings) noch nicht in allen Fällen gegeben ist“ (S. 99).

 

Weitere Themen sind „Präsenz und Erfolg kommunaler Wählergemeinschaften“ (am Beispiel der letzten Kommunalwahlen in den deutschen Bundesländern), die „Beeinflussung lokalpolitischer Entscheidungen durch lokale Vereine“ (anhand konkreter Beispiele aus Münster), Bürgerbefragungen (Bürgerpanels) sowie Diskursverfahren als „zentrales Konstrukt der politischen Soziologie und der Politikwissenschaft“ (S. 195).

 

Abschließend geht es um die Frage, in wie weit Beteiligungsprozesse und die dort eingesetzten Methoden im Hinblick auf die Gestaltung der Lernprozesse der Beteiligten betrachtet werden sollten. Als Beispiele dienen hier das Dialogforum Flughafen Frankfurt (Christopher Gohl) und kommunale Familientische (Jürgen Wüst, Seniorberater am Institut für Organisationskommunikation). Dabei wird deutlich, dass es nicht nur um Problemlösungspotenziale geht, sondern auch um den gemeinsamen Lernprozess der Beteiligten. Deshalb werden auch hier Partizipationsprozesse als wichtige Lernorte der Wissensgesellschaft verortet - die beteiligungsorientierte Gesellschaft als lernende Gesellschaft. Deshalb muss nach Ansicht der Autoren die Frage, wie wir in Zukunft Lehren und Lernen werden mit der Frage, wie wir in Zukunft an der Gesellschaft teilhaben werden, zusammengeführt werden. Ein überaus informativer, kompakter Überblick über Beteiligungsmöglichkeiten und die Notwendigkeit, diese mit Zielen zu versehen. Nicht immer leicht zu lesen, durch zahlreiche Beispiele aber oft konkret nachvollziehbar. A. A.

 

Erfolgsbedingungen lokaler Bürgerbeteiligung. Hrsg. v. Angelika Vetter. Wiesbaden: VS Verl. f. Sozialwissenschaft, 2008. 282 S. (Städte und Regionen in Europa; 16) € 39,90 [D], 41,20 [A], sFr 69,80