Entstehung und Stabilität des Automobil-Leitbildes

Ausgabe: 1997 | 1

Der Siegeszug des Autos setzt sich bis heute ”Trotz ökologischer und raumstruktureller Folgeprobleme und Zweifel an seiner Vorbildhaftigkeit" ungebrochen fort. Charakteristisch für die gesamte Branche ist, so Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin, daß sie sich einerseits durch starkes Innovationsverhalten der Produktionstechnik auszeichnet, andererseits konservativ am Standardautomobil festhält und Produktmodifikationen nur äußerst vorsichtig vollzieht. In der vorliegenden Arbeit, die als Dissertation am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Abteilung: Organisation und Technikgenese, eingereicht wurde, geht es darum, die Stabilität des Automobil-Leitbildes zu erklären und "Gegenentwürfe" zur Automobilität darzustellen. Zunächst erörtert Canzler den widersprüchlichen empirischen Befund der hohen Attraktivität einerseits und der destruktiven Wirkungen seiner massenhaften Verbreitung andererseits. Anschließend werden Entstehung und Festigung des Automobil-Leitbildes generell und seine Konsolidierung in Deutschland beschrieben. Anhand konkreter Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie konzeptionell-strategischer Mobilitätskonzepte der deutschen Automobilindustrie für die 90er Jahre analysiert der Autor, inwieweit Ansätze für neue Leitbilder auszumachen sind. Canzler sieht hier mit Blick auf alternative Antriebskonzepte, daß der Verbrennungsmotor noch lange ohne ernstzunehmende Konkurrenz läuft und darüber hinaus die vor Jahren einsetzende Krise des Automobil-Leitbildes durch Beharrungskraft, Anpassung und technische Lösungsversprechen wieder überwunden wird. Neben diesen Indizien für eine Restabilisierung des gültigen Denkmusters sieht er aber auch solche für den Wandel in Richtung" Multimobilität" (Auto als Verkehrsmittel unter mehreren). Voraussetzung dafür wäre die Förderung von Maßnahmen, die eine Reintegration von Arbeit, Kultur und Wohnen im Nahbereich ermöglichen. Insgesamt geht der Autor davon aus, daß sich die politisch-administrativen Rahmenbedingungen für das Autofahren in den nächsten Jahren durch Verteuerung und Einschränkungen erheblich verschärfen werden. Positive Beispiele für soziale Innovationen, die eine alternative Mobilität einfordern bzw. praktizieren, sieht Canzler u. a. in Car-sharing-Projekten, Car-pooling-Konzepten sowie in der Sparmobil-Kampagne von Greenpeace. Erfolgsentscheidend für die Durchsetzung multimobiler Mobilitätsmuster könnte zudem "die schnelle Verbreitung einer Mobil-Card sein, die als universelles Informations-. Buchungs- und Zahlungsinstrument für beinahe alle Verkehrsleistungen benutzt werden kann".  A. A.  

Canzler, Weert: Das Zauberlehrlings-Syndrom. Entstehung und Stabilität des Automobil-Leitbildes. Hrsg. v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. (Univ. Diss.). Berlin: Ed. Sigma, 1996. 356 S.