Michael Schmidt-Salomon

Entspannt euch!

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Entspannt euch!

„Wenn du dich nicht mehr schuldig fühlst, der zu sein, der du bist, fällt es dir leichter, der zu werden, der du sein könntest“ (S. 51). Dieses Motto gibt den Ton im neuen Text des Philosophen Michael Schmidt-Salomon an: einfach und deutlich, vielversprechend und auch etwas unangenehm. Kann es neben der unerträglichen Leichtigkeit des Seins eine neue Leichtigkeit des Seins geben, die uns die Kraft gibt, leichter zu ertragen, was wir nicht verändern können und effektiver zu verändern, was wir nicht ertragen müssen? Der Autor meint, ja, und stellt in diesem Buch acht Lektionen für das Leben und Zusammenleben bereit. Diese setzen dabei an, die eigene Ohnmacht zu verstehen, führen die Kunst des Vergebens und eine amoralische Ethik vor, lassen den Sinn des Lebens neu erkennen und schlussfolgernd eine Lebenshaltung der brennenden Geduld imaginieren, die uns hilft, vom eigenen Selbst zu lassen und so ein gelasseneres und sinnlicheres Selbst zu erlangen.

Als grundlegendes Hindernis einer entspannten Lebenshaltung sieht der Autor das Wechselspiel von Überheblichkeit und Demütigung, von Stolz und Scham, Selbstüber- und Selbstunterschätzung. Statt soziologische und systemische Gründe zu benennen, erkennt er einen tieferliegenden Grund, einen uralten Denkfehler: die Überzeugung, zu Recht sowohl Stolz als auch Scham zu empfinden, wenn es um die eigenen Leistungen geht. Doch in Wahrheit können wir Erfolg und Misserfolg gar nicht uns selbst zuschreiben. Die Ursachen sind nicht in unserem Selbst zu finden, sondern „in einem chaotischen Netzwerk von Milliarden und Abermilliarden Faktoren, über die wir keine Kontrolle hatten“ (S. 18). Ausdauer und Fleiß sind deshalb aber nicht unwesentlich, haben sie doch großen Einfluss auf den Lauf eines Lebens. Aber auch Leistungsbereitschaft, Selbstdisziplin und Frustrationstoleranz sind auf komplexe Faktoren zurückzuführen, die von unserem Selbst unabhängig sind. Letztlich bleibt uns nur, für unsere „Gaben“ dankbar zu sein. Stolz oder Scham aber minimieren unsere Lebensmöglichkeiten.

Der Autor wendet sich vielfach der Problematik menschlicher Gewalt zu und benennt einen „Gut-versus-Böse-Komplex“ (S. 74), der eine Abgrenzung zu anderen erst möglich mache. Moralvorstellungen sind aber stets relativ, denn egal auf welcher Seite ein Mensch steht, glaubt er, für das Gute zu kämpfen. Dieser moralische Dualismus könne durch die oft unterschätzte Fähigkeit der Empathie überwunden werden. Auch wenn es innerhalb der eigenen Gruppe leichter fällt, ist Mitgefühl mit Außenstehenden möglich. Wir können im Anderen uns selbst erkennen. Nur ausgehend von einem ursachenfreien Willen kann ein Mensch als gut oder böse bezeichnet werden – diesen kann es aber nicht geben. Doch anstatt dies zu erkennen, wird das sogenannte „Prinzip der alternativen Möglichkeiten“ (S. 81), kurz PAM, befolgt: Es besagt, dass der Mensch die Fähigkeit zur Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten hat. Doch gelte es zu verstehen, dass dieser Andere, ebenso wie wir, sich „in jedem Moment seines Lebens nur so verhalten kann, wie er sich unter den jeweils geltenden Bedingungen verhalten muss“ (S. 81). Sigmund Freuds Erkenntnis, das Ich sei nicht Herr im eigenen Haus, sah Albert Einstein nicht negativ, sondern als Chance, „unsere Illusionen zu überwinden und ein reiferes, gelasseneres, humorvolleres Selbstbild zu entwickeln“ (S. 42). Ebenso prägte sein Denken ein Spruch Schopenhauers, in dem es heißt, der Mensch könne zwar tun, was er will, nicht aber wollen, was er will. So ist ein ursachenfreier Wille als Grundvoraussetzung hinfällig – und Fragen zu Freiheit und Verantwortung stellen sich neu. Bereits in dem Buch „Jenseits von Gut und Böse“ widmete sich Schmidt-Salomon dieser Einsteinschen Auffassung. Im vorliegenden Text bündelt er seine bisher erarbeiteten Thesen; entstanden sind gut lesbare Lektionen und ein wichtiges Buch für jene, die im heutigen Wirrwarr nach Orientierung und Entspannung suchen, ohne Verstand und Herz abschwören zu müssen.