Einübung des anderen Blicks

Ausgabe: 2009 | 3

Wem immer die leidige Gegenwart – und damit in einem beklemmenden Atemzug auch die Zukunft – Sorge bereitet, dem lege ich diesen von der „Robert Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen“ und dem österreichischen „Lebensministerium“ herausgegebenen Band „Die Einübung des anderen Blicks“ ans lesende Herz! Im Untertitel erfährt das ungemein engagierte Projekt seine ideologische Untermauerung, seine fragend-antwortende Zielrichtung, nämlich im Hinblick auf „Kunst und Nachhaltigkeit“. Inhaltlich weit gespannte Begriffe, kaum zu fassen in einer Lebenspanne des Denkens, des Zweifelns und des Projektierens, zudem der Terminus „Nachhaltigkeit“ nicht wenigen Lesern dem Vokabular des Modischen und zugleich der arrivierten Schwammigkeit entlehnt zu sein scheint. In dieser Hinsicht darf ich beruhigen. Die von Walter Spielmann – dem Hauptherausgeber – geladenen Gesprächsautoren sind – jede und jeder – in der Lage, dem Begriff eine eigene Note, eine unverwechselbare Farbe in ihrem je eigenen menschlichen und beruflichen Wirkungsfeld zu sichern. „Nachhaltigkeit“ meint mithin keinesfalls nur eine verbale Blase, um Versäumtes auf Morgen und Übermorgen zu vertagen, genauer noch: um die kommende, erträumte Wirklichkeit durch ein vertrauensvolles Wort zu ersetzen, sondern als Imperativ, sich mit dem Heute unseres Leben auseinanderzusetzen und damit mit dem Allernächstliegenden! Und das jeweils Nächste bedeutet ja in Wahrheit schon Zukunft, bedeutet Schicksal für alles Weitere in allen Mikro- und Makrobereichen des Zusammenlebens (in vielen Aspekten gar des Überlebens!).

 

Der redaktionell sorgfältig, bis in informative Nebenbereiche hilfreich gestaltete Band ist – wie mir vorkommt – eine abenteuerliche Rundreise durch die Labyrinthe des gefühlvollen Denkens an den fruchtbaren Rändern gesellschaftlichen Wirkens und Planens – eine Fibel der entschiedenen Nachdenklichkeit, ein Almanach der Lebenskonzeptionen mit Schwerpunkt auf Gegenwartsanalyse und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für eine lebens-, ja liebenswerte Zukunft. Walter Spielmann und in einem Gesprächsbeitrag auch Hans Holzinger ist es zu danken, den Befragten Luft, Lust und Laune zu lassen, sich nicht nur in die Themen ihres Wirkens und Wünschens zu vertiefen, sondern auch abzuschweifen, sich antwortend, aber auch gegen fragend, den angestoßenen Themen aus bildender, aus weiterbildender Kunst, aus sozialem und schulischem Engagement eine eigene Richtung zu verleihen.

 

Spielmanns einleitender Text –  dem Untertitel des Buches sozusagen intellektuelle Fleischlichkeit verleihend – und Robert Jungks posthum gereichten Überlegungen zum Thema „Kunst als Zukunft“ bilden den Einstieg in ein schillerndes Panoptikum aus Realfuturologie etwa im Bereich der Werbewirtschaft (Fritz Messner) oder im engen, aber doch unendlichen Raum vom „Gartenglück auf 19 mal 36 m²“, das die Salzburger Keramiker Barbara Reisinger und Gerold Tusch in Oberndorf realisiert haben.

 

Zu Wort kommen neben anderen die Literaturjournalistin, Regisseurin und Autorin Brita Steinwendtner (seit 1990 Leiterin der Rauriser Literaturtage), der Germanist und Publizist Kurt Palm, der Schriftsteller Karl-Markus Gauß und sein fotografierender Kollege Kurt Kaindl, deren Gedankenhandhabe des Nachhaltigen (und des Nachhalligen, wie ich hinzuzufügen mich traue) sich als „Form des täglichen Schreibens“ – nämlich des verantwortungsvollen Schreibens!“ –  bewährt (Gauß), bzw. in der optimistischen Utopie, dem „bewahrenden Augenblick als Einladung zur Interpretation von Wirklichkeit“ eine Dimension von Unvergänglichkeit zu retten (Kaindl).

 

Inhaltlich lässt sich der Band nicht auf einen Nenner bringen, dafür sind die Lebensansätze der Befragten zu verschieden. Aber allen Beiträgen ist eines eigen: die auf konkrete Schaffens- und Daseinssituationen gegründete Hoffnung, den Widersinnigkeiten unserer Tage die Stirn zu bieten, also in ihrem Umfeld der viel beschworenen Unmöglichkeit eine Wendung hin zum Möglichen zu geben. Noch knapper zusammengefasst: Von Nachhaltigkeit ist all jenes, dessen Verbleiben, dessen Dauerhaftigkeit man sich nicht zu schämen braucht. Peter Cossé

 

Einübung des anderen Blicks. Gespräche über Kunst und Nachhaltigkeit. Hrsg. v. Walter Spielmann. Salzburg: JBZ-Eigenverl., 2009. 230 S.,  € 15,- ; sFr 26,25; ISBN 978-3-9501181-3-1

 

(Bestellungen: jungk-bibliothek@salzburg.at)