Arlie Russell Hochschild

Fremd in ihrem Land

Ausgabe: 2018 | 1
Fremd in ihrem Land

Die US-amerikanische Gesellschaft steht unbestritten vor großen Herausforderungen, umso mehr sollte jetzt darauf geachtet werden, die Grundprinzipien der Demokratie zu bewahren, so die Autorin und  Professorin der University of California, Arlie Russel Hochschild. Sie plädiert daher für ein Aufeinanderzugehen, um die Kluft zwischen DemokratInnen und RepublikanerInnen zu verringern und der feindseligen Spaltung im Land entgegenzuwirken. Aber Hochschild, eine der weltweit anerkanntesten Soziologinnen, theoretisiert nicht nur vom kalifornischen Lehrstuhl aus, sie praktiziert auch gerne die Methode der teilnehmenden Beobachtung und lässt daraus ambitionierte Feldstudien entstehen.

Diesmal begab sie sich auf die Reise in den Bundesstaat Louisiana, denn sie wollte verstehen, warum die Politik eines Donald Trump oder Mick Romney hier überdurchschnittlich viel Zuspruch erfährt. Den politischen Blickwinkel hat sie dabei vermieden, sie interessierte sich mehr dafür wie US-amerikanische AnhängerInnen der Rechten „ihr Leben empfinden – also für die Gefühle, die der Politik zugrunde liegen“ (S. 9. Die Erhebung quantitativer Fakten und Zahlen genügten Hochschild nicht, sie suchte den Dialog. Bei ihrem Unterfangen scheint sie behutsam vorgegangen zu sein, begegnete den Menschen auf Augenhöhe, besuchte sie in ihren Wohnzimmern, ließ sich private Jagdreviere zeigen und war Zeugin kommunaler Wahlkampfveranstaltungen. Sie nahm sich insgesamt fünf Jahre Zeit und traf offensichtlich auf viele freundliche und vor allem religiöse Menschen, die eines verband: der Frust und die Wut darüber vom Staat verraten worden zu sein.

Hochschild hörte persönliche Lebensgeschichten von BewohnerInnen eines ökonomisch wie ökologisch geschundenen Lebensraumes. Pensionierte Industriearbeiter erzählten, wie sie vom Arbeitgeber angehalten wurden, bei Dunkelheit Giftabfälle in freier Natur abzuladen, und so über die Jahre Flora und Fauna zerstört wurden, oder von lebensgefährlichen Arbeitsunfällen aufgrund fehlender Sicherheitsvorkehrungen in chemischen Industriebetrieben. Die Umwelt- und Luftverschmutzung in Louisiana ist enorm und die Krebsrate eine der höchsten der USA. Doch – und hier zeigt sich der Widerspruch – all diese Menschen befürworten die Verminderung staatlicher Einflussnahme, z.B. in Form von Umweltschutzauflagen, denn die chemische Industrie bietet vor allem eines: Arbeitsplätze. Eine strenge Umweltpolitik würde die Ansiedelung von Betrieben verhindern. Der Staat und die öffentliche Verwaltung, als Teil des Establishments, wären für diese Menschen der erklärte Feind des amerikanischen Traums. Nur harte Arbeit führe zu Wohlstand, staatliche Unterstützung anzunehmen wäre ein Zeichen von Schwäche und fehlendem Arbeitswillen. Verständnis für den ärmeren, aus welchen Gründen auch immer, bedürftigen Teil der amerikanischen Gesellschaft sucht man in Louisiana vergebens. Populisten wie Donald Trump treffen dabei mit ihrer Politik punktgenau ins Schwarze, vor allem wenn sie Steuersenkung anstreben und gleichzeitig die staatlichen Sozialleistungen kürzen, mehr wirtschaftliche Anreize für Öl- und Gasbetriebe, insgesamt weniger Staat und mehr individuelle Freiheit propagieren.

Auf dieser ganz speziellen Reise hatte die Tochter eines Diplomaten das „Gefühl, in einem fremden Land zu sein“ (S. 13), doch es war ihr eigenes Land, das Arlie Russel Hochschild erkundete. Sie begegnete Teamplayern, die sich mehr als loyal gegenüber der republikanischen Politik, der Tea-Party und Fox News zeigten. Sie traf auf streng gläubige AnhängerInnen Mike Romneys und dessen christlich-erzkonservativen Stils, für die der Glaube über allem steht und wissenschaftliche Fakten oft weit weniger zählen. Bei der Lektüre begegnet man stoischen Cowboys und weißen Rebellen, die gegen eine gefühlte Fremdheit und Ungleichbehandlung im eigenen Land ankämpfen, ebenso wie gering verdienenden Eltern, die das bröckelnde Bildungssystem scharf kritisieren, positive staatliche Einflussnahme hingegen strikt ablehnen.

Dieses Buch erzählt pointiert und klug von Teilen Amerikas, die der Autorin selbst fremd waren. Es gibt Einblick in die rechtskonservative Gesellschaft der USA, doch Verständnis für die extremen Ansichten ist mitunter schwer aufzubringen. Beim Lesen ist man vor allem eines: mit vielen schier unlösbaren Widersprüchen konfrontiert, und man kann nachempfinden, wie Hochschild mit sich gerungen haben muss, um die Empathie für diese Menschen nicht zu verlieren. Man erfährt, wie beharrlich der Frust und der daraus entstehende Glaube an falsche Tatsachen und das Festhalten an der subjektiven Wahrheit sein kann und dass sich in diesem Punkt die Tea-Party-AnhängerInnen vermutlich wenig von den BefürworterInnen rechtspopulistischer europäischer Politik unterscheiden.