Die Zukunftsfallen

Ausgabe: 2007 | 3

Nach dem Hype um Spaß- und Erlebnisgesellschaft, auf dem Höhepunkt der kollektiven Glückssuche und in Erwartung der „Kreativgesellschaft“ spricht Peter Zellmann (Leiter des Instituts für Freizeit und Tourismusforschung in Wien) in Anbetracht des Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft schlicht von einer Phase des Übergangs. In ihr seien kollektive und individuelle Entscheidungen aufgrund allgemeiner Orientierungsunsicherheit schwierig. Umso mehr gehe es darum, auf absehbare Hürden und verdeckte Tücken aufmerksam zu machen. Nach einem kurzen Blick auf vier Szenarien für die Entwicklung Europas bis zum Jahr 2014 (und leider nicht näher begründete Annahmen über deren Eintreten – „Harmoniegesellschaft“ (20%), „Ich-Gesellschaft“ (40%), „Verlierer-Gesellschaft“ (30%) und „Abhängigkeitsgesellschaft“ (10%) – beschreibt Zellmann gestützt auf repräsentative Erhebungen unter der österreichischen Bevölkerung zunächst sieben gesellschaftliche „Zukunftsfallen“. Definiert werden diese als „absehbare Entwicklungen“, auf die wir nicht oder ungenügend vorbereitet sind (vgl. S. 28f.). „Wachstumshörigkeit“, so der Freizeitexperte schon in der Einleitung sehr pointiert, „entpuppt sich als eine der hartnäckigsten Zukunftsfallen“ (S. 29). Zunehmend sei aber auch der Wunsch nach „Wertewandel“ auszumachen (für 62% der Befragten relevant), der auch auf „emanzipatorische Prozesse der Selbstfindung“ schließen lasse. Die Chancen stünden also nicht schlecht, die „reine Ökonomie nicht ausschließlich voranzudenken“, sondern verstärkt über europäische Werte nachzudenken, gibt sich Zellmann zuversichtlich (S. 48f.). Die „Alternde Gesellschaft“– eine weitere Falle – sei bei weitem nicht nur ein Risiko, sondern „ökonomisches, gesellschaftliches und soziales Kapital“ (S. 61), meint der Autor und prognostiziert: „Die Kategorien ‚Jugend’ und ‚Alter’ werden sich zusehends auflösen bzw. werden im allgemeinen, altersübergreifenden Zeitgeist untergehen.“ (S. 62) Dass „die Politik“ die Entwicklung der Zukunft „nicht im Griff habe“, meinen im Durchschnitt 55% der Bevölkerung, wohl auch deshalb, weil – mit Hans Jonas formuliert – „das Nichtexistente keine Lobby habe“. Um hier gegenzusteuern, wünscht sich Zellmann PolitikerInnen, die nicht primär ihrer Partei, sondern dem Wähler verpflichtet sind. In der Abwägung von wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit seien aber auch die BürgerInnen gefordert, im Rahmen ihrer „Wahl“-Möglichkeit dafür zu sorgen, „dass die Politik wieder das Handeln übernehmen kann“ (S. 74). Voraussetzung dafür sei auch – m. E. einer der spannendsten Abschnitte – „Halbwahrheiten“ und „Wahrheitslügen“ (‚Mens sana in corpore sano’, ‚Ora et labora’) zu durchschauen und „Demokratie als Arrangement der Artikulation persönlicher Erfahrung“ zu begreifen und zu leben (S. 78). Diese Sichtweise radikal weiter denkend, entlarvt Peter Zellmann nicht nur die „Expertokratie“, sondern vor allem auch „die (neoliberale) Wirtschaft“ als kollektive Zukunftsfalle: Da Profitmaximierung (der Minderheit) grundsätzlich auf Verschuldung (der Mehrheit) gründe, gleiche unser Wirtschaftmodell dem System eines „Kettenbriefs“. Die Finanznot des Staates, die Misere des Bildungssystems und vieles mehr seien auf die Entkopplung von Geld- und Realwirtschaft zurückzuführen. Um hier effizient gegenzusteuern, empfiehlt der Autor, Widerstand gegen technische und mediale Verführungen zu leisten, um so Zeitsouveränität zur Entfaltung von Eigensinn und Solidarität (zurück) zu gewinnen. Im Hinblick auf die von der EU beschlossene „Dienstleistungsrichtlinie“ spricht Zellmann gleichfalls von einer „Falle“ und fordert „einen grundlegenden Richtungswechsel in der EU-Politik“ (S. 135) [den – eine positive Lesart vorausgesetzt – jüngst auch Kommissionspräsident Barroso bei seiner Rede in Sibin eingefordert hat, W. Sp.]. Ausführlich erörtert der Autor sein Kernthema, die „Zukunftsfalle Tourismus“ und votiert (auf Grund der regional unterschiedlichen Herausforderungen nicht unproblematisch) für die „Einrichtung einer Modellregion, in der praxisnah und ortsbezogen (…) alle anstehenden Probleme – aber auch Lösungsansätze – erörtert und letztendlich auch umgesetzt werden können“ (S. 149). Im Hinblick auf Bildung und Ausbildung setzt der Verfasser – hier verkürzt dargestellt – vorrangig auf freizeitpädagogische Akzente im Rahmen ganztägiger Betreuung, fordert die Stärkung sozialer und kommunikativer Kompetenzen und sieht – im Gleichschritt u. a. mit K. P. Liessmann die Demontage der Universitäten als „Projekt der Gegenaufklärung“ (S. 183).

 

Durchwegs von Interesse, aber nur bedingt als „Zukunftsfallen für jeden Einzelnen“ nachvollziehbar sind die im nächsten Abschnitt erörterten Herausforderungen. Zu ihnen zählen „Erziehung und Schule“, „Mediennutzung“ und „Zeitverschwendung“ – mit 77% Zustimmung die tückischste „Falle“ (vgl. S. 224) – ebenso wie „Gesundheit“ und „Sport“ (nur ein Viertel bis maximal ein Drittel der Bevölkerung ist regelmäßig sportlich aktiv, S. 260). Mit Befunden zum Thema „Familie“ (Väter übernehmen zunehmend mehr Verantwortung, an der Stelle öffentlich angebotener „Ganztagsbetreuung“ werden entsprechende Firmenangebote bevorzugt (S. 270ff.) und zur „Vorsorge“ (Zellmann plädiert für ein „Drei-Säulen-Modell“ – „erarbeitet“, „erspart“, „erlebt und gelebt“ – und widerspricht der weit verbreiteten Furcht vor einem „Konflikt der Generationen“) schließt der Band.

 

In Anbetracht der erörterten und durchaus auch unterschiedlich gewichteten Trends und robusten Entwicklungen von gesellschaftlichen bzw. individuellen „Zukunftsfallen“ zu sprechen, erscheint nicht durchwegs schlüssig und mag auch verkaufsfördernden Überlegungen geschuldet sein. Nichts desto trotz verdient dieser Titel (vor allem aus österreichischer Perspektive) eine deutliche Empfehlung. W. Sp.

 

Zellmann, Peter: Die Zukunftsfallen. Wo sie sich verbergen. Wie wir sie umgehen. M. e. Nachw. v. Horst W. Opaschowski. Wien: Österr. Verl.-Anstalt, 2007. 304 S., € 24,12 [D], 23,40 [A], sFr 42,20

 

ISBN 978-3-7067-0085-6