Die Zukunft ergreifen

Ausgabe: 2008 | 3

In Zeiten von Rezession und Pessimismus sind optimistische Beiträge zur aktiven Zukunftsgestaltung durchaus willkommen. Der vorliegende Titel des Soziologen Helmut Klages signalisiert genau dies, indem er den Aufbruch in erweiterte Räume der Lebensgestaltung beschreibt. Dabei geht der Autor von einer „weltgeschichtlichen“ Sonderstellung der Gegenwart aus, die sich einerseits als Chance auf ein höheres Entwicklungsniveau, andererseits aber auch als eine Krise offenbart, die die Gefahren des Rückschritts auf frühere Entwicklungsniveaus nicht ausschließt. Der Blick auf die Geschichte zeige, dass sich in den „entwickelten“ Teilen der Erde die Gesellschaften v. a. durch weitergehende politische, soziale und zivilisatorische Teilhabe auszeichnen. Es liegt also nahe, so Klages, dass ein Mehr an Teilhabe auch den weniger „entwickelten“ Ländern zugute käme. Erklärtes Ziel des Autors ist es, durch die „Schaffung von Verantwortungsrollen“ die Grundlage für die Aktualisierung von Potenzialen der direkten Mitwirkung von Bürgern am politischen Prozess zu erreichen.

 

Zunächst aber gilt der Blick der Kritik vorhandener Reformorientierungen in den Industriegesellschaften. Bisher, so der Autor, scheitere die Politik an der gestellten Aufgabe einer „weiterführenden“ Krisenbewältigung. Klages wirft der politischen Klasse massives Versagen vor, ohne sie zugleich zu verurteilen. Man müsse ihr allerdings die Einsicht zumuten, dass ihr Reformverständnis reformbedürftig ist. Im „Rückblick auf den bisher eingeschlagenen Reformpfad und im Vorblick auf andersartige Anläufe“ habe sie einen selbstkritischen Lernprozess zu vollziehen, in den neben vielen Details auch fundamentale Aspekte eingehen müssten (vgl. S. 99). Möglichkeiten der Kurskorrekturen werden vom Autor in vier Bereichen formuliert:

 

1. Die Überwindung der Gleichsetzung von einzelwirtschaftlichem Denken und öffentlicher Reformzielsetzung. Dabei geht es um eine Reformpolitik, die eine ordnungspolitische Qualität anstrebt. Für ein entwickeltes Land muss sich darüber hinaus auch die Frage nach der Qualität der Arbeitsplätze, die ein Unternehmen anzubieten vermag, stellen. Auch die Senkung der Unternehmenssteuern wird als kontraproduktiv angesehen.

 

2. Die Aktivierung brachliegenden Humanpotenzials (siehe auch „Geschäftsplan Deutschland “ in ) in allen Gesellschaftsbereichen: „Das schrankenlose Gewähren lassen einer ungesteuerten einzelwirtschaftlichen Unternehmensrationalität führt (…) zu einer scheinbar unauflöslichen Verschmelzung von unternehmensinterner Rationalisierung und Kündigung‚ freigesetzter Arbeitnehmer, die durch das aktuelle Entbürokratisierungsverständnis legitimiert und noch weiter zementiert wird.“ (S. 116) Zur Aktivierung individueller wie kollektiver Potenziale plädiert Klages auch für die Einführung des Teilhabemodells „Bürgerkommune“ als allgemeinverbindliches Leitbild für Städte und Gemeinden zu verwirklichen (vgl. S. 127f.).

 

3. Die Teilhabe aller am zivilisatorischen Niveau eines Landes als Maßstab für Hilfe für Menschen in Notsituationen: Vorgeschlagen wird ein möglichst einfach zu handhabendes Verfahren der sozialen Grundsicherung in Form der „negativen Einkommenssteuer“.

 

4. Die Abkehr von wachsender Staatsverschuldung durch Steuerprogression bei höheren Einkommen. Darüber hinaus gelte es, finanzielle Reserven des Staates ausfindig zu machen wie etwa Steuergeschenke, „die ihre Entstehung einer gegenwärtig vorherrschenden Neigung des politischen Systems verdanken, zu Zwecken der Machterhaltung oder der persönlichen Vorteilserzielung bevorzugt Klientelinteressen zu bedienen“ (S. 136).

 

Die Befreiung der Politik aus der ökonomischen Gefangenschaft, hier als Perspektive postuliert, ist kurzfristig und auf nationaler Ebene kaum zu erreichen. Klages selbst hält es denn auch nur auf europäischer Ebene realisierbar.

 

Der eingangs angedeutete Blick auf die Entwicklungsländer mache, so der Autor, deutlich, dass es weder möglich noch sinnvoll sei, diesen von heute auf morgen ein „westliches Modell“ überstülpen zu wollen „und ihnen eine Entwicklungshilfe anzubieten, die von der Erfüllung von Liberalisierungsauflagen abhängig ist“ (S. 178f.). Vielmehr bedürfe es einer „situationsgerechten Entwicklungsstrategie“, bei der ein Lernen von den so genannten „Entwickelteren“ durchaus angebracht, die Förderung der eigenen Humanpotenziale aber Vorrang haben muss. Die „Schaffung der Ausbildungsvoraussetzungen für anwendbare Qualifikationen“, die „employability“ , könnte ein hochrangiges Leitprinzip sein (vgl. S. 169).

 

Insgesamt ist der Blick auf konkrete Reformnotwendigkeiten in der Tradition soziologischer Abhandlungen gehalten. Den Leser erwartet also keine leichte Kost, doch enthält der Band auch eine Fülle verfolgenswerter Ideen. „Vor uns die guten Jahre“ – der Verweis auf einen Titel des prominenten Zukunftsforschers Herman Kahn, der diesem Band als Motto beigefügt ist – ist zwar von Optimismus getragen; für den Fall, dass die hier unterbreiteten Vorschläge auch umgesetzt würden, ist er nicht unbegründet. A. A.

 

Klages, Helmut: Die Zukunft ergreifen. Ein realistischer Ausblick auf die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Hamburg: merus-Verl., 2007.

 

191 S., € 17,90 [D], 18,10 [A], sFr 31,70

 

ISBN 978-3-939519-18-8