Die Zukunft der Europäischen Währungsunion

Ausgabe: 2013 | 2

Das Demokratiedefizit der Europäischen Union ist längst ein geläufiges Schlagwort. Nachholbedarf wird in fast allen politischen Bereichen gesehen, wobei das besonders sensible Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik naturgemäß besondere Aufmerksamkeit der interessierten Öffentlichkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten findet.

 

Bis heute hat die EU über 20 zivile und militärische Missionen im Rahmen der GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) auf drei Kontinenten durchgeführt. Die Entscheidung zur Entsendung von nationalen Streitkräften im Rahmen einer EU-Mission muss im Rat einstimmig entschieden werden. Kritisiert wird dabei von vielen Beobachtern „eine unzureichende Beteiligung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments“ (S. 21f.). Zudem ist die demokratische Legitimität in den nationalen Parlamenten unterschiedlich gewährleistet. „Während es in manchen Mitgliedstaaten einen Parlamentsvorbehalt zur Entsendung von nationalen Streitkräften gibt, werden andere Parlamente lediglich über die Entscheidungen ihrer Regierungen im Nachhinein informiert.“ (S. 22)

 

Der Europaexperte Julian Böcker analysiert die Materie mit Blick auf das deutsche,  das britische und das Europäische Parlaments, um eine konkrete Bewertung vornehmen zu können. Er kommt zu dem Schluss, dass es keine universell akzeptierte Definition demokratischer Legitimität gebe. Deshalb seien Politik und Wissenschaft gefordert, den unterschiedlichen nationalen Legitimitätsvorstellungen ausreichend Rechnung zu tragen. „Dies gilt insbesondere für die GSVP und die Entscheidung nationaler Regierungen und Parlamente, Soldaten unter Einsatz ihres Lebens in Krisenregionen zu schicken.“ (S. 237) Insofern wird in der GSVP kein Demokratiedefizit gesehen, da demokratische Legitimität primär durch die nationalen Regierungen und sekundär durch die ergebnisorientierte und die intergouvernementale bzw. supranationale verfahrensorientierte Legitimation gewährleistet bleibe. In einzelnen Mitgliedstaaten gibt es sogar Bestrebungen einer stärkeren parlamentarischen Einbindung bei der Entscheidung über die Entsendung von nationalen Streitkräften (etwa in Großbritannien). Ungarn beschreitet diesbezüglich den Weg der umgekehrten Reform (Schwächung der parlamentarischen Einbindung), um bei multilateralen Einsätzen handlungsfähiger zu sein. Abgesehen von solch negativen Ausreißern gilt in der europäischen Verteidigungspolitik, dass das Europäische Parlament diese Aufgabe gemeinsam mit den Parlamenten der Mitgliedsländer wahrnehmen muss und deshalb eine ausreichende Rückbindung an die Wähler vorhanden ist. A. A.

 

Verteidigungspolitik: EU

 

Böcker, Julian: Demokratiedefizit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU? Analyse des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments. Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 2012. 281 S., € 49,- [D], 50,50 [A], sFr 68,60 ; ISBN 978-3-8329-7206-6

 

 

 

Europa und die Währungskrise

 

Hat die Europäische Währungsunion eine Zukunft, fragte der Herausgeber Thomas Sauer in seinem 2012 erschienenen Band. Seine Antwort ist Ja, aber es müsse sich vieles in Richtung einer Finanz- und Sozialunion ändern. Auch eine Mehrheit der führenden deutschen Ökonomen glaubt an eine Zukunft der Währungsunion. Das geht aus einer Umfrage hervor, die „ZEIT ONLINE“ bei 13 deutschen Volkswirten durchgeführt hat. Sieben halten die Euro-Zone für überlebensfähig, fünf äußern sich skeptisch und Stefan Homburg von der Uni Hannover geht gar davon, dass die „Geschäftsgrundlage des Euro entfallen ist“ und „die Geschichte über ihn hinweggehen wird“. (www.zeit.de/wirtschaft/2010-06/eurozone-zukunft)

 

Es bleibt also spannend - v. a. auch mit Blick auf Italien - und ob die Euro-Rettung gelingen wird, ist weiter offen. Einen Überblick über Möglichkeiten und Grenzen der Währungsunion bietet dieser Band.

 

 

 

Das Korridormodell

 

Arne Heise untersucht zunächst die Entwicklung des EU-Governance-Systems vor dem Hintergrund der Weltfinanzkrise. Im Kern seiner Untersuchung steht die Frage, ob die im Zuge der Euro-Krise ergriffenen Maßnahmen „Soziales Lernen“ widerspiegeln oder nicht (vgl. S. 8)? Heise spart dabei nicht mit Kritik an den Fehlern der europäischen Wirtschaftspolitik und erörtert einige Änderungsvorschläge. Dabei geht es ihm um die strukturellen Probleme der Eurozone (Haushaltsschieflagen, mangelnde Wachstumsdynamik, soziale Leerstellen und zunehmende Leistungsbilanzungleichgewichte). Insgesamt müssten, so Heise, die Alternativen zunächst an den identifizierten Problemen der EU-Integration ansetzen. Das „soziale Defizit“ könne im Rahmen des so genannten „Korridormodells“ gelöst werden. Die Grundidee dieses in den 1990er-Jahren entwickelten Modells ist die Wahrung des engen Zusammenhangs von ökonomischem und wohlfahrtsstaatlichem Entwicklungsniveau in den EU-Staaten. Darüber hinaus sei aber auch eine wachstumsförderliche Makrosteuerung zu entwickeln, „ohne die demokratische Legitimierung der Akteure zu unterlaufen und die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden“ (S. 37). Schließlich müsse eine stärkere Koordinierung bzw. sogar Harmonisierung der Steuersysteme in der EU verfolgt werden. Nicht zuletzt fordert Heise die weitere Zentralisierung wesentlicher Politikbereiche, die Etablierung einer echten europäischen (Wirtschafts-)Regierung mit eigenständigem Besteuerungspotenzial und echter Kontrolle im Sinne einer Überwindung des „demokratischen Defizits“ (vgl. S. 37ff.).

 

Karlheinz Ruckriegel konzentriert sich in seiner Untersuchung auf das Verhalten der EZB während der Finanzkrise. Unüberhörbar ist auch bei ihm der Ruf nach einer Politischen Union mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Haushalte, „damit die EZB auch die Rolle spielen kann, die sie in einer Welt mit irrlichternden Finanzmärkten spielen muss, um den Eurowährungsraum vor größerem Schaden zu bewahren“ (S. 66).

 

 

 

Krisenstrategien

 

Stefan Ederer, Koordinator des Forschungsbereichs Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sieht in einer gemeinschaftlichen „Haftung der Länder des Euroraums für Staatsschulden die wichtigste Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens in die öffentlichen Finanzen“ (S. 167). Notwendige Instrumente dazu sind der Ausbau des Rettungsschirms, die Ausgabe von Eurobonds oder die Bereitstellung von Liquidität durch die EZB. Zudem seien Maßnahmen zur Stabilisierung des Wirtschaftswachstums anstelle von immer neuen Sparbemühungen notwendig. Weitere Forderungen des Experten sind der deutliche Ausbau fiskalischer Transfers innerhalb der Währungsunion (um die besonders stark von der Krise betroffenen Länder zu stabilisieren), langfristig wirksame Maßnahmen für Wachstum und die Begrenzung der öffentlichen Verschuldung (in Relation zur Wirtschaftsleistung). Nur so könne nach Ansicht des Experten der Zerfall oder eine Spaltung der Währungsunion verhindert werden. A. A.

 

 

 

 Die Zukunft der Europäischen Währungsunion: Kritische Analysen. Hrsg. v. Thomas Sauer. Marburg: Metropolis-Verl., 2012. 174 S., € 19,80 [D], 20,40 [A], sFr 27,70 ; ISBN 978-3-89518-926-5