Die Zukunft der Bürgerbeteiligung

Ausgabe: 2012 | 2

„Unsere Gegenwart mit ihren mannigfaltigen Krisen auf allen Ebenen führt uns immer mehr zur Erkenntnis, dass die besten und nachhaltigsten Lösungen in der gemeinsamen Auseinandersetzung und in den sehr unterschiedlichen Wissenspotenzialen und Fähigkeiten aller Mitglieder der Gesellschaft zu finden sind.“ (S. 12) So die optimistische Einschätzung von Marion Stock von der Stiftung Mitarbeit in der Einführung zu einem Band über die „Zukunft der Bürgerbeteiligung.“ Nur gemeinsam könnten die Herausforderung der Gegenwart und Zukunft gemeistert werden. Bürgerbeteiligung trage dazu bei, „Problemstellungen und Anforderungen umfassend zu verstehen, kompetente, weitsichtige und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen sowie Projekte erfolgreich und nachhaltig umzusetzen“ (ebd.) Werden die Erwartungen an Bürgerbeteiligung hier nicht zu hochgeschraubt und gelingt es überhaupt, auf breiter Ebene Bürger und Bürgerinnen zur Mitarbeit zu gewinnen? Fragen, die berechtigt sind. So schränkt die Expertin auch gleich ein, dass politische Partizipation der BürgerInnen bisher nur „inselhaft“ verbreitet und das Bewusstsein für die Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung bei der Bevölkerung „(noch) nicht angekommen“ sei (S. 13). Die „Gebildeten und Gutsituierten“ seien leichter zu erreichen als sozial Benachteiligte, die sich „nur in geringerem Maße artikulieren können oder wollen“ (ebd.). Im Buch werden nun unterschiedliche Aspekte und Handlungsfelder der Bürgerbeteiligung reflektiert.

 

 

 

Demokratie lernen

 

Thomas Leif, Politikwissenschaftler und Journalist, verweist auf die Diskrepanz zwischen der Euphorie gegenüber der „Bürgergesellschaft“ auf der einen und der „Vertrauensvernichtung“ durch die Bankenkrise sowie den politischen Lobbyismus auf der anderen Seite. Er spricht von „Entparlamentarisierung des Parlaments“ (S. 39) sowie von einer wirkungslosen „Empörungsdemokratie“, die durch den Alarmismus der Medien geschürt würde: „Man regt sich auf über irgendetwas und regt sich wieder ab. Aber man tut nichts, um konkrete Korrekturen zu erreichen und zieht keine Konsequenzen.“ (S. 41) Das freiwillige Engagement verkommt für Leif zum „Reparatur-Werkzeug einer orientierungslosen Politik, zum symbolischen Kitt für eine Gesellschaft, die ihren Kompass verloren hat“ (S. 43). Eine ernst- hafte Pflege der Zivilgesellschaft würde die „organisierte Teilhabe aller Interessierten und Machtverzicht bedeuten“ (ebd.) Nicht materielle Begünstigungen für Ehrenamtliche, sondern das Organisieren und Entwickeln von Beteiligungschancen als „demokratische Lernorte“, etwa über Community Organizing, sind für den Autor Wege zu einer Erneuerung der Demokratie bzw. des „Managements der Vielfalt“ (S. 50), welches die Zukunft der Politik bestimmen werde.

 

 

 

Handlungsfelder

 

Diesen grundsätzlichen Überlegungen folgen Beiträge über konkrete Erfahrungs- und Handlungsfelder, etwa im „Netzwerk Soziale Stadt“, in den an Bedeutung gewinnenden „Bürgerhaushalten“, im Bereich der Integration sowie im Kontext standardisierter und institutionalisierter Beteiligungsformen wie Bürgergutachten, die den drei „klassischen Problemen der Bürgerbeteiligung“ – Vertiefung sozialer Ungleichheiten, mangelnde Legitimität und fehlendes Sachwissen (Uwe Pfenning S. 145) entgegenwirken sollen. Selbstverständlich werden auch Möglichkeiten und Grenzen des Internets und von „Social Media“ (Brigitte Reiser) erörtert. Neu ist auch die Aktionsform des „Carrotmob“ (www.carrotmob.org), durch die klimabewusst handelnde Betriebe belohnt werden (carrot = Zuckerbrot). Die OrganisatorInnen holen von Lebensmitteläden Kiosken oder Kneipen Angebote ein, wie viel des Umsatzes diese für eine bestimmte Zeit bereit sind für Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Über Facebook und andere Kommunikationsformen werden in der Folge KonsumentInnen mobilisiert, bewusst in diesen Läden einzukaufen. Carrotmobs sind sozusagen das Gegenstück zu Boykottmaßnahmen.

 

In abschließenden Beiträgen werden Vorschläge zur Förderung einer aktiven Zivil- und Bürgergesellschaft unterbreitet. Helmut Klages und Angelika Vetter konzentrieren sich dabei auf die kommunale Ebene. Roland Roth fordert konkrete strukturelle Rahmenbedingungen wie Sachvoten und Referenden mit niedrigen Hürden, verbindliche Bürgerabstimmungen beim Erwerb, Verkauf oder der Privatisierung öffentlicher Güter, generelle Informations- und Transparenzrechte sowie die Einrichtung von Demokratiefonds, aus denen Initiativen und soziale Bewegungen gefördert, Beteiligungsverfahren finanziert und Alternativgutachten zu wichtigen Vorhaben ermöglicht werden. Regelmäßige „Demokratie-Audits“ unter der Regie von Bürgergruppen sollen Schwachstellen des politischen Prozesses identifizieren, so Roth weiter. Schließlich wird die Weiterentwicklung der „Bürgerkommune“ zur „Solidarkommune“ (Carsten Herzberg) vorgeschlagen, die sich durch verbindliche, sozial ausgewogene Partizipationsformen auszeichnet und als eine Art Label vergeben werden soll. Die detaillierte Ausgestaltung der Kriterien der Solidarkommune bleibt weiteren Abhandlungen der Stiftung Mitarbeit vorbehalten.

 

H. H.

 

Die Zukunft der Bürgerbeteiligung. Herausforderungen, Trends, Projekte. Bonn: Stiftung Mitarbeit, 2011. 292 S. (Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten; 25) € 12,- [D], 12,40 [A], sFr  16,80 5,10

 

ISBN 978-3-941143-10-4