David Wallace-Wels

Die unbewohnbare Erde

Ausgabe: 2020 | 1
Die unbewohnbare Erde

„Die unbewohnbare Erde“ von David Wallace-Wells – stellvertretender Chefredakteur beim New York Magazine – ist nichts für schwache Nerven. Wallace-Wells skizziert hier nichts anderes als den Untergang unserer Zivilisation durch den menschengemachten Klimawandel.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert: In „Kaskaden“ legt Wallace-Wells dar, wie einzelne Komponenten des Klimawandels ineinandergreifen und die Erde in letzter Konsequenz unbewohnbar machen, sollte nicht alsbald die globale Kehrtwende geschafft werden. Der Einstieg ist hart: „Es ist schlimmer, viel schlimmer als Sie denken“, erfahren die LeserInnen gleich zu Beginn (S. 11). Die Auswirkungen des Klimawandels sind überall präsent: Hurricans, Starkregen, arktische Eisschmelze, Waldbrände – aber auch politische Konsequenzen wie etwa der Bürgerkrieg in Syrien, dem jahrelange Dürren und Missernten vorausgingen. Das Ausmaß der Klimakatastrophe variiert je nach Temperaturanstieg. Bleibt bei 2 Grad die Erde noch gut bewohnbar, wenn auch mit Verlustzonen, wird es ab 4 Grad jährlich globale Nahrungsmittelkrisen geben. Vor allem wird der Klimawandel zu noch größeren sozialen Ungerechtigkeiten führen, leiden doch gerade die Ärmsten besonders stark darunter.

Im zweiten Teil des Buches werden die „Elemente des Chaos“ vorgestellt: Von einer Explosion der Anzahl der Hitzetoten über Hungersnöte, Überschwemmungen und Flächenbrände bis zu anderen ökologischen Katastrophen wie Luftverschmutzung und das Sterben der Meere lässt Wallace-Wells wenig aus. Mit Blick auf die Hitze sind wir schon jetzt mit einer kontinuierlich steigenden Zahl von Hitzetoten konfrontiert. Was auf uns zukommt, ist ein empfindliches Schrumpfen der „habitablen Zone“ auf der Erde. Vor allem Großstädte um den Äquator könnten durch den Hitzeinseleffekt schon in näherer Zukunft unbewohnbar werden. Ähnlich düster schaut das Bild bezüglich Nahrungsmittelproduktion und -verteilung aus: Die fruchtbaren Regionen, in denen heute Getreide angebaut wird, sind hochempfindlich gegenüber steigenden Temperaturen; Ernteeinbrüche werden daher häufiger. Nicht wesentlich optimistischer wird man, wenn Wallace-Wells sich den extremen Wetterlagen und hier vor allem dem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels zuwendet. Zahlreiche Millionenstädte sind durch den Anstieg des Wassers stark gefährdet, vor allem die Megalopolen in Asien. Allen Klimakrisen ist gemein, dass sie bereits bestehende Verteilungskonflikte verschärfen. Kein Wunder, dass angesichts all dessen auch die Wirtschaft leiden wird. Mittlerweile geht es nicht nur mehr um die horrenden Kosten, die der Klimawandel verursacht, es geht auch darum, dass der Klimawandel die Lebenssituation von vielen Menschen beträchtlich verschlechtern wird und damit das Wachstum einbrechen werden.

Der dritte Teil des Buches widmet sich dem „Klimakaleidoskop“ – der Tatsache, dass wir die Gefahr zwar direkt vor unseren Augen haben, doch offenbar davon so geblendet sind, dass wir nicht reagieren (vgl. S. 167). Es scheint mehr als erstaunlich, dass angesichts all der prognostizierten Katastrophen die Warnrufe der Forscher so lange ignoriert wurden. Dies änderte sich erst mit dem Weltklimabericht zu 1,5 Grad Erderwärmung des Weltklimarats, der – salopp ausgedrückt – Tacheles redete. „Die Botschaft, die er vermittelte, lautete: Ihr dürft jetzt – endlich – die Nerven verlieren.“ (S. 183; Hervorhebung im Original) Und doch tun wir das viel zu wenig – warum?

Hier verweist Wallace-Wells auf die Verhaltenspsychologie: Menschen werden ungern mit Ungewissheiten konfrontiert. Zudem haben wir die Neigung zu warten, bis andere handeln, statt dass wir es selbst tun, während wir Schwierigkeiten haben, etablierte Denk- und Verhaltensmuster aufzubrechen und Alternativen auszuprobieren. Ein besonderes Problem ist das Marktdenken, welches unsere Gesellschaft völlig durchdrungen hat: „Es ist leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als ein Ende des Kapitalismus“ (Fredric Jameson, S. 187).

Immer wieder betont Wallace-Wells die Rolle der Politik und des kollektiven Handelns. Ähnlich wie Naomi Klein bemerkt er, dass individuelle Konsumentscheidungen nicht ausreichen werden, um den Klimawandel zu stoppen: „Bioprodukte zu essen ist gut, aber wer das Klima retten will, sollte lieber wählen gehen“ (S. 218). Um den Klimawandel entschieden einzubremsen, bräuchte es eine neue große Erzählung jenseits des Fortschritts. Das bedeutet auch eine Abkehr vom „anthropischen Prinzip“, welches Wallace-Wells im vierten und letzten Teil des Buches erläutert: eine narzisstische Sichtweise auf den Kosmos, in der wir uns selbst eine Sonderstellung geben, ohne dass wir daraus einen guten Umgang mit der zerbrechlichen Erde ableiten.

„Die unbewohnbare Erde“ ist ein informatives, gut recherchiertes Buch, das uns die Wahrheit schonungslos zumutet. Gleichzeitig fällt es oft schwer, den thematischen Sprüngen des Autors zu folgen. Wallace-Wells bemerkt selbst, dass sein Buch stellenweise panisch wirken mag bzw. der „Klima-Panik“-Literatur zugezählt werden kann: „Das ist in Ordnung, denn ich empfinde Panik.“ (S. 247) Mitunter zeigt Wallace-Wells die Tendenz, die schlimmsten Szenarien besonders zu betonen und die weniger katastrophalen Zukunftsbilder nur kurz zu erwähnen. Auch wäre das Buch ohne jenen unglücklichen Vergleich, dass der Klimawandel schlimmer als die Atombombe sei, ausgekommen (vgl. S. 262). Das ist Panikmache und es tut der Versachlichung des Themas sicherlich keinen guten Dienst.