Die Pyramide steht Kopf

Ausgabe: 2001 | 4
Die Pyramide steht Kopf

Die Pyramide steht Kopf: Die Wirtschaft in der AltersfalleAls „goldene Jahrzehnte des demographischen Hedonismus“ bezeichnet das Autorenduo Roland und Andrea Tichy – beide sind im Wirtschaftsjournalismus tätig – jene  Ära, die davon geprägt war, „dass es vergleichsweise wenige Alte gab, die zu versorgen waren, und dass wir immer weniger Kinder großgezogen haben“ (S. 9). Eine Ära, die uns hohen materiellen Luxus beschert hat, eine Ära aber, die zu Ende gehen wird: „Es gibt kein Weiter-so.“

Die beiden schildern zunächst den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahrzehnte sowie den materiellen Reichtum der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft (3,45 Bio. Euro Geldvermögen im Jahr 2000, 2 Bio. Euro Erbschaften bis 2010, über 15 Mio. sozialsicherungs-pflichtig Beschäftigte), um dann auf den demografischen Wandel in den kommenden 50 Jahren einzugehen. Die Bevölkerung der BRD wird bis dahin – so eine zitierte UN-Studie   um ein Drittel auf 58,8 Mio. Menschen schrumpfen. Die Zahl der jungen Menschen wird von heute 17 Mio. auf 10 Mio. zurückgehen, jene der über 60-jährigen hingegen um 15 Mio. steigen. Der Grund für diese Entwicklung liegt im Gesetz der Selbstbeschleuni-gung demografischer Entwicklungen: „Immer weniger Kinder haben immer weniger Kinder und können damit unmöglich die Lücken ausgleichen, die ihre Elterngenera-tion hinterlassen hat.“ (S. 64).

Nun sei nicht die Abnahme der Bevölkerung an sich das Problem – diese könnte einem dicht besiedelten Land wie Deutschland sogar gut tun, sondern ihre Überalterung. Zu Unrecht stünden dabei lediglich Finanzierungsprob-leme bei den Renten in Diskussion, so die Autoren. Es gehe ebenso um die Bewältigung des auf uns zukommenden Pflegebedarfs („Nicht mehr für die Fließbänder wie in den sechziger Jahren werden wir Arbeitsmigranten suchen, und auch nicht für die Software-Industrie des Jahres 2000, sondern für das weltweit größte Pflegeheim.“ S. 12), um die gigantischen Gesundheitsausgaben  nach Berechnungen der Vereinten Nationen liegt der Unterhalt  alter Menschen um das Zweieinhalbfache höher als der von Kindern   sowie um das Fehlen junger, innovativer Kräfte für die Wirtschaft. Gewarnt wird vor einem Abstieg von der pulsierenden „New Economy“ in die „Grey Economy“. Die große Krise wird um 2015 erwartet, wo die Babyboomgeneration ins Rentenalter eintritt, die Erwerbsbevölkerung aber zugleich abnimmt. (s. Grafik S. 76)

Als Lösungswege bieten die Autoren zweierlei: Eine aktive Einwanderungsstrategie, die mehr ist als die gegenwärtigen Integrationsbemühungen und diametral den wieder politikfähig gewordenen Abschottungstendenzen entgegensteht. Als Vorbild werden die USA und Kanada sowie einzelne, für Zuwanderer offene multinationale Unternehmen dargestellt. Und zweitens eine gezielte Bevölkerungspolitik, die   und das fällt positiv auf – nicht auf die Rückkehr zu alten Rollenbildern, auch nicht (allein) auf finanzielle Anreize („Kinder kann man nicht kaufen“),  sondern auf attraktive, familienfreundliche Strukturen in Unternehmen und Gesellschaft setzt, die Kinder und Karriere für beide Geschlechter vereinbar machen (Hinsichtlich Kinderbetreuungsplätze und Ganz-tagsschulen wird Deutschland als eines der Schlusslichter in der EU bezeichnet, Skandinavien, die Niederlande oder Frankreich als Vorbilder benannt).

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Den gesellschaftspolitischen Vorschlägen der Autoren ist sehr zuzustimmen, da sie Weltoffenheit und ein modernes Familienbild vermitteln. Ob der hier an die Wand gemalte Zusammenbruch des deutschen Wohlstandes tatsächlich durch die Altersfalle eintreten wird (die „graue Revolution“ wird nach den Autoren „größere gesellschaftliche Veränderungen anrichten als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen“ (S. 10) ist fraglich. Nicht nur ist mit weiteren Produktivitätszuwächsen zu rechnen, es ist auch eine Abkehr vom gegenwärtigen, konsum- und stressorientierten (und überdies alles andere als nachhaltigen) Lebensstil hin zu einer sinnerfüllten Lebensweise, in der auch das Miteinander der Gene-rationen wieder Platz hat, den- und machbar. Vielleicht wird dann auch einmal eine florierende Wirtschaft möglich, die sich zwar ändert, aber im Volumen nicht mehr wächst. Was bleibt, sind die Fragen des würdigen Alterns und der Verteilung der Lebenschancen innerhalb und zwischen den Generationen. H. H.

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