Die Politik der Populisten

Ausgabe: 2018 | 2
Die Politik der Populisten

Politik der Populisten„Die Frage, inwieweit Medien und soziale Netzwerke im Internet zum Aufstieg der Populisten beitragen, bleibt unbeantwortet.“ Das „Rätsel, warum im Süden Europas Linkspopulisten von der Unzufriedenheit der Wähler profitieren, im Norden, Osten und Westen hingegen die Rechtspopulisten“ (S. 208) löst Michael Laczynski, bis März 2017 EU-Korrespondent der Tageszeitung „Die Presse“, nach eigenen Worten ebenso wenig.

Interessante Parallelen (und Unterschiede) im „Geschäftsmodell“ der Populisten präsentiert er allemal: „Momentan scheint es in Europa so zu sein, dass dort, wo das ökonomische Wohlbefinden einigermaßen stabil ist und die Zukunftsängste zunehmen, tendenziell eher die Rechtspopulisten Erfolge feiern. Und dass dort, wo sich diese Ängste bereits bewahrheitet haben, die Linkspopulisten im Aufwind sind“ (S. 83).

Die verschiedenen Rollen, die ein erfolgreicher Populist beherrschen muss, beschreibt Laczynski so: er ist „Rebell gegen die bestehende Ordnung und das Establishment“ – „Quintessenz des populistischen Rebellen-Ethos“ ist für ihn Jörg Haiders Wahlkampfslogan von 1994: „Sie sind gegen IHN, weil ER für EUCH ist“. Wäre der Populist nicht gleichzeitig „talentierter Illusionskünstler (…) könnte er nicht glaubhaft jene magischen, bestechend simplen Lösungen für hochkomplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme anpreisen“. Als „Angstmacher“ muss er zudem seinen Wählern ständig neue, größere Gefahren vorgaukeln. (S. 24).

Rechtspopulismus in Europa

Ob Wien mit der „Haiderisierung Europas“ (so Ruth Wodak, S. 13) – (mit Karl Kraus) wieder einmal – als „Versuchsstation für den Weltuntergang“ fungiert? Dem Autor erscheint der Aufstieg der FPÖ seit „Haiders Inthronisation an der Parteispitze“ 1986 bis zur Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 als „Blaupause für die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern seit der Jahrtausendwende“. Ähnliche Wahlerfolge der Rechtsaußen-Parteien UKIP, PiS, FN, AfD, Dansk Folkeparti und FPÖ – zuletzt zwischen 21,1 % in Dänemark und 37,5 % in Polen – führt Laczynski auf grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen deren Wählern zurück. Das Brexit-Votum, die US-Präsidentenwahl und die knappe Niederlage Norbert Hofers bei der Stichwahl zum Bundespräsidenten machten deutlich, „dass der populistische 30-Prozent-Plafond unter günstigen Ausgangsbedingungen klar durchstoßen werden kann“ (S. 64).

„Je niedriger der Bildungsgrad und je prekärer die Beschäftigungssituation, desto höher die Bereitschaft, für eine Anti-System-Partei zu stimmen“ (S. 74). Neben Geschlecht (männlich – Ausnahme: Frankreich), Alter (eher höher – Ausnahme: die Präsidentenwahl in Österreich) und Wohnort (meist am Land) ist es vor allem eine ähnliche Weltanschauung, die Wähler den Populisten zutreibt. „Sie blicken sorgenvoll in die Zukunft, haben Angst vor dem Wandel und wollen dagegen demonstrieren“ (S. 74). Dazu gehörten nicht nur die deutschen „Arbeiter und Arbeitslosen, [welche] zur AfD übergelaufen sind“, sondern – wie in Baden-Württemberg – vor allem jene, „die zwar nicht entkoppelt sind, aber dem Aufstiegsversprechen moderner Gesellschaften offenbar keinen Glauben mehr schenken und sich durch Veränderungen in erster Linie gefährdet sehen“, zitiert der Autor aus einer Analyse von Robert Pausch in der „Zeit online“ vom 14.3.2016 (S. 75). Für Marine Le Pen votierten neben den „Abgehängten“ aus strukturschwachen Gebieten auch die um ihre Zukunft besorgten Kleinbürger von der Cote d’Azur oder in der Champagne (S. 76).

Bemerkenswert: Südeuropäer haben – trotz existenzieller Not – „den Menschen im Norden der EU eines voraus: sie fühlen sich kulturell deutlich weniger bedroht“ (S. 84). Rechtspopulismus schließt aus („Wir – und nur wir – sind das Volk“), Links-populismus schließt ein (die „99%“ der Occupy Wall Street Bewegung). Beide Anschauungen zielten, so Laczynski, auf „die Abschaffung der Politik“. „Denn alle politischen Prozesse gehen von der Grundannahme aus, dass es unterschiedliche legitime Interessen gibt, die es zu moderieren und miteinander kompatibel zu machen gilt. In einer Welt, in der ein imaginiertes ‚Volk‘ immer recht hat, gibt es keinen Bedarf an Auseinandersetzung mit anderen Positionen“. (S. 23). Wenn aber sogar Investmentbanker von Morgan Stanley ihre Kunden warnen, dass „anhaltend hohe Ungleichheit … die politischen Entscheidungsprozesse destabilisiere“ und „damit ihre Geschäftsmodelle gefährde” und die OECD berechnet, dass die Volkswirtschaften von 1990 bis 2010 um insgesamt 4,7% stärker gewachsen wären, hätte sich das Verhältnis zwischen Reich und Arm in diesem Zeitraum nicht zu Ungunsten der Armen verschoben (S. 135), dann erscheint dem Rezensenten die Gleichsetzung (der Forderungen) von Links- mit Rechtspopulismus fragwürdig.

Europa als leichtes Ziel für Populisten

Konsens besteht darüber, dass das „Europa der Institutionen“ ein leichtes Ziel für Populisten aller Couleurs ist, eine „dankbare Zielscheibe für Kritik“ (S. 55) und „wie hervorragend sich die[se] Projektionsfläche für alle Ängste, Erwartungen, Enttäuschungen und Obsessionen eignet“ (S. 58). „Alle Vorteile der europäischen Integration – Frieden, Wohlstand, Reisefreiheit – werden als selbstverständlich hingenommen bzw. zu nationalen Errungenschaften hochstilisiert. Alle unbequemen Aspekte und Misserfolge“ hingegen der „arroganten EU“ angelastet. (S. 58)

„Dass ausgerechnet populistische Parteien das Demokratiedefizit der EU am lautesten ankreiden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie“ (S. 56). Dass der „Baustelle Europa“— durch den Brexit „Schauplatz des bisher größten populistischen Erfolgs“ – oberste Priorität in den Bemühungen gegen die Angstmacher zukommen muss, weil Le Pen, Wilders, Kaczynski und Grillo die europäische Integration zunichtemachen wollen, ist eine zentrale Forderung des Autors. (S. 199) Reinhard Geiger

 

Bei Amazon kaufenLaczynski, Michael: Fürchtet euch und folgt uns. Die Politik der Populisten. Wien: Kremayr & Scheriau, 2017. 223 S., € 24,- [D/A] ; ISBN 978-3-218-01062-7