Die kulturelle Neuschaffung der Welt durch den Menschen

Ausgabe: 1988 | 3

Der biologistischen Auffassung, nach welcher unser Denken und Verhalten genetisch festgelegt und daher willentlich nicht zu beeinflussen sind, wird in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend widersprochen. Die These von der (begrenzten) Selbstbestimmung des Menschen durch das Bewußtsein gewinnt zunehmend an Aktualität. Herbig, entschiedener Verfechter der letztgenannten Position sucht in Fortführung seines Buches "Im Anfang war das Wort" (1984) den biologischen Determinismus als Ideologie zu entlarven und im Gegenzug die evolutionäre Freiheit der Menschengeschichte nachzuweisen. Die Entstehung der ersten Hochkulturen, die in Vorderasien in der Zeit von etwa 10.000 bis 2000 v. Chr., in China von 5000 bis 1000 v. Chr., in Süd- und Mittelamerika von 5000 v. Chr. bis zur Zeitenwende dauerte, beschreibt der Autor als Wechselspiel von Phantasie und Anpassung, Freiheit und Notwendigkeit. Dabei räumt er neben der Landwirtschaft vor allem der kulturellen Evolution des Menschen eine zentrale Bedeutung bei der Entwicklung zunehmend komplexer gesellschaftlicher Ordnungen ein. Die Ablöse von Jäger- und Sammlerkulturen durch staatliche Herrschaftsformen wird begleitet und begründet durch göttlich legitimierte Weltbilder.

War es über Jahrtausende die Funktion der Religion, menschliche Herrschaft als göttlich gewollte Ordnung zu rechtfertigen, so stehen wir nach der Entvölkerung des Himmels vor der schwierigen Aufgabe, die Rolle der Götter selbst zu übernehmen. Wollen wir überleben, so sind wir aufgefordert, die Normen für unser Leben in Eigenverantwortung zu bestimmen und verbindlich festzuschreiben.

Herbig zweifelt nicht daran, daß dies gelingen könnte, hütet sich jedoch vor plattem Optimismus. Er fordert eine Wissenschaft, die auch Verantwortung für ihr Tun übernimmt und vertraut darauf, daß zunehmend mehr Menschen diese Verantwortung einfordern werden, nachdem sie immer weniger bereit sind, die Schattenseiten des Fortschritts widerspruchslos hinzunehmen.

Der fundierte und doch auch für den Außenstehenden gut nachvollziehbare Brückenschlag über die ersten Hochkulturen bis hin zu den aktuellen Anforderungen an das kulturelle und geistige Potential des Menschen, läßt zumindest hoffen, daß das Abenteuer der Evolution zu einem guten Ende geführt werden kann.

Herbig, Jost: Nahrung für die Götter. Die kulturelle Neuschaffung der Welt durch den Menschen. München (u. a.): Hanser, 1988.510 S. DM 49,80/ sfr 42,20/ öS 388,40