Die Klimaprioritäten

Ausgabe: 2008 | 4

  Auch Michael Streck, ehemals US-Korrespondent der deutschen taz und nunmehr Unternehmensberater für Investoren und Firmen, „deren Geld und Technologien weltweit Umwelt- und Klimaschutz fördern“ (Eigenbeschreibung), schlägt in eine ähnliche Kerbe. Der Klimawandel sei ernst zu nehmen, hinsichtlich Maßnahmen gelte es jedoch Prioritäten zu setzen. Streck sieht diese – wie Sinn – insbesondere im Schutz der Wälder und dem damit verbundenen Emissionshandel („Wald-schutz ist Klimaschutz“) sowie – da ist er optimistischer als der deutsche Ökonom – in der Kohleabscheidung („Kohle muss sauberer werden“). Da es blauäugig sei, die Kohle, den fossilen Rohstoff mit den größten Reserven, einfach auszublenden („In China geht jede Woche ein neues Kraftwerk in Betrieb“, S. 30), müsse man ihre Verarbeitung ökologisch weniger schädlich machen, so die nicht von der Hand zu weisende Argumentation. Weltweit die besten Technologien zur Verfügung zu stellen, müsse daher das zentrale Ziel sein. Der Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Vertrags, der Emissionsgutschriften für entsprechende Entwicklungsprojekte vergibt, ist für Streck dafür das ideale Instrument: „CDM-Projekte sorgen für einen preiswerten Technologietransfer in Entwicklungsländer und ermöglichen, dass diese in den Klimaschutz mit einbezogen werden.“ (S. 154) Keine andere internationale Vereinbarung wie das Kyoto-Protokoll hätte bisher so viel Geld für Umweltschutzprojekte mobilisiert, meint der Journalist und nennt als Beispiel die neue U-Bahn in Neu Delhi, „weltweit das erste Bahnprojekt, das Emissionsgutschriften erhält“ (S. 155). Streck plädiert weiters für die Weiterentwicklung von Methoden der CO2-Speicherung („Carbon Capture and Storage“, CCS), auch wenn er Unwägbarkeiten und (finanzielle) Risiken nicht verneint. „Kohlendioxid abscheiden und einlagern erfordert enorme Investitionen. Für ein Gaskraftwerk mit einer Kapazität von 400 Megawatt würden sich die Investitionskosten bei Einsatz eines CCS-Systems verdoppeln.“ (S. 32f). Die größte Herausforderung besteht freilich darin, das sieht auch Streck so, „geeignete Lagerstätten zu finden” (S. 35) Der Autor kritisiert die pauschale Ablehnung der Technologie durch Umweltschützer, verschweigt aber die Gegenargumente nicht (s. Kasten). Im Schlusskapitel „Luxusemissionen und Lebensemissionen“ greift Streck die Idee des persönlichen Kohlendioxidkontos („CO2-Kreditkarte“) auf, das zu einer Art zweiter Konsumwährung werden sollte. Wer mehr CO2 verbraucht als sein Konto erlaubt, muss anderen dafür Abgeltung zahlen: „Ein extra Einkommen für Arme, die wenig konsumieren und ihre Emissionsrechte an Kohlendioxidsüchtige verkaufen könnten.“ (S. 177). Das Konzept entspräche in der Tat dem globalen Gerechtigkeitsprinzip, sein einziger Haken: Es wird wohl schwer zu verwirklichen sein, da es ein starkes Einlenken der „Süchtigen“ erfordert. Streck schließt mit vier Einsichten, die die Umsteuerung ermöglichen sollten (S. 181f.): (1) Was für die Medizin gilt, gilt auch für den Klimawandel: Vorbeugen sei besser als heilen, heißt: „Emissionen reduzieren ist besser, als Risiken zu vergrößern.“ (2) „Die Risiken sind größer als wahrgenommen.“ Als Beispiel nennt Streck Rückkopplungseffekte bei der Abholzung der Regenwälder: Je mehr Wald verschwindet, desto trockener und wärmer wird es, umso weniger Regen fällt. Dies führt zu mehr Feuer, zu weniger Wald, zu steigenden Temperaturen und wiederum zu mehr Trockenheit. „2005 und 2006 traten erstmals schwere Dürren im Regenwaldgebiet auf - das ist ungefähr so, als ob es in der Sahara schneit.“ (3) „Klimawandel sollte nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance betrachtet werden.“ Stichwort: Export deutscher und europäischer Umwelttechnologien. (4) Klimaschonendes Wirtschaften ist möglich. 1,6 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung seien bis 2030 nötig, so der Jahresbericht des UN-Entwicklungsprogramms UNDP von 2007, um den Übergang zu einer klimafreundlichen Weltwirtschaft mit geringen Treibhausgasen zu finanzieren. Das sind 1,02 Billionen US-Dollar. „Gleich viel, 1,1 Billionen US-Dollar, gibt die Welt jährlich für Rüstung aus.“ H. H.

 

Streck, Michael: Die Klimaprioritäten. Was wir jetzt zur Rettung des Klimas tun müssen. Frankfurt/M.: Campus, 2008. 208 S., € 21,90 [D], 22,60 [A], sFr 39,- ISBN 978-3-593-38676-8