Cornelia Koppetsch

Die Gesellschaft des Zorns

Ausgabe: 2020 | 1
Die Gesellschaft des Zorns

In ihrem bemerkenswerten Buch versucht die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch, sich einen Reim auf den Aufstieg der neuen populistischen Rechtsparteien zu machen. Im Mittelpunkt stehen die Fragen „Wie konnten reaktionäre und autoritäre Tendenzen in einer Gesellschaft erstarken, die sich auf dem Höhepunkt des Friedens, der Aufklärung und des Fortschritts glaubt? Was können wir durch die Brille der Mobilisierungsursachen der neuen Rechtsparteien über die heutige Gesellschaft und ihre Spaltungen erfahren? Und welche Umrüstungen von Gesellschaftserzählungen und theoretischen Erkenntniswerkzeugen sind dazu notwendig?“ (S. 9f.)

Koppetsch kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Aufstieg des Rechtspopulismus die Folge des bislang noch unbewältigten epochalen Umbruchs der „Globalen Moderne“ ist, der in den letzten 30 Jahren deutliche Spuren in den Tiefenstrukturen westlicher Gesellschaften hinterlassen hat. Die Ideologie des Umbruchs nennt Koppetsch den Progressiven Neoliberalismus. Progressiv sei dieser dort,

wo er sich kultur- und linksliberale Ideen einverleibe, die der Vertiefung sozialer Ungleichheiten und der Macht des Kapitals in keiner Weise im Weg stehen. Neoliberal sei an dieser Ideologie die Präferenz des Marktes gegenüber dem Staat als Mittel zur Lösung von Problemen.

Die „Globale Moderne“ zeichne sich durch eine zunehmende internationale Verflechtung auf vielen Ebenen, einen Souveränitätsverlust der Nationalstaaten, vor allem gegenüber ökonomischen AkteurInnen, und den Aufstieg globaler Eliten aus, die in metropolitanen Zentren lebten. Parallel komme es zur Entleerung und Verödung ganzer Landstriche in den ländlichen Regionen. Weiters werde Ungleichheit transnationalisiert. Vor allem an den Rändern der sozialen Hierarchiepyramide komme es zur Herausbildung transnationaler Klassenlagen. Transnationale Qualifikationen und Märkte gewinnen an Bedeutung, oft auf Kosten nationaler Strukturen. Es gebe VerliererInnen. Schließlich zeichne sich die „Globale Moderne“ durch die Entwicklung supranationaler Steuerungsinstanzen aus, deren Aufstieg einhergehen mit Bedeutungsgewinnen für politische EntscheidungsträgerInnen auf Ebenen unterhalb des Nationalstaates.

Der Aufstieg der Rechtsparteien sei ein emotionaler Reflex auf diesen Epochenbruch. Dieser Reflex habe drei Dimensionen. Erstens sei dies eine Protestbewegung, die das Nationale in dieser Situation verteidigen wolle. Zweitens seien sie ein Identifikationsangebot für ehemals Privilegierte, die in der „Globalen Moderne“ ihre Position einbüßten und symbolisch entschädigt werden wollen (enttäuschte Familienväter, Ostdeutsche, entmachtete Eliten usw.). Häufig äußere sich dies in Kulturkonflikten, die im Zuge der globalen Öffnungsbewegungen an Brisanz gewonnen hätten. Drittens würden die Gruppen ein Bedürfnis nach kollektiver Zugehörigkeit mit einer Re-Vergemeinschaftung bedienen und „das Volk“ als exklusive Gemeinschaft wieder ins Spiel bringen. Dieses Bild stehe den sich herausbildenden transnationalen Communities entgegen, die heute ebenfalls Solidaritäten und Zugehörigkeiten böten. Rechtsparteien würden eine exklusive Zugehörigkeit zur Nation vorschlagen, die mit zahlreichen Leistungen verbunden sei und ein umkämpftes Privileg darstellt. Dieser Kampf sei keineswegs irrational, so Koppetsch. (vgl. S. 29)

Zuletzt stand die Autorin in der Kritik, ihre Quellen an mehreren Stellen nicht korrekt nachgewiesen zu haben. Besonders Inhalte aus „Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz seien betroffen, schrieb unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung. (FAZ, 8.11.2019) Der transcript-Verlag zog daraufhin den Band zur Überarbeitung zurück.