Die Fabrik des verschuldeten Menschen

Ausgabe: 2013 | 2

Der in Paris lebende Philosoph Maurizio Lazzarato hat sich dem Verhältnis Gläubiger/Schuldner gewidmet. Mit Marx, Nietzsche, Foucault, Deleuze/Guatari und anhand aktueller Finanzdaten versucht er zu zeigen, dass die „Schuldenkrise“ eben eines nicht ist: eine Krise. Schulden sind nicht Ausdruck einer Krise der herrschenden Verhältnisse, sondern ein konstituierendes Merkmal.

 

Die Ideologie, aus sich selbst ein Unternehmen zu machen, auf „eigenen Füßen zu stehen“, bedeutet sich mit Armut und Schuld(en) aufzuladen. Der hohe Zins tut ein Übriges, die Verschuldung der Privaten voranzutreiben. Die Verschuldung der Haushalte in den USA und Großbritannien habe 120 bzw. 140 Prozent ihres disponiblen Einkommens erreicht (S. 35). Die Gläubiger-Schuldner-Beziehung betrifft die gegenwärtige Bevölkerung, aber die zukünftige nicht weniger. Jedes französische Baby kommt schon mit 2200 Euro Schulden zur Welt. (S. 43)

 

Die Finanzbürde hat direkte Bedeutung für jeden Kreditnehmer. Sie bestimmt das Ausmaß der nötigen Erträge, die Zeit, die als Arbeitskraft verkauft werden oder „investiert“ werden muss. Arbeit lässt sich dann nicht mehr vom Handeln unterscheiden. Mit dem Kredit wird Handeln zum ökonomisch dynamischen Element, sogar Motor (S. 67).

 

Lazzarato sieht in den Schulden den Archetyp der gesellschaftlichen Verhältnisse. Er beschreibt sie als Machtasymmetrie. Diese Ungleichheit kann unmittelbar subjektiv gemacht sein. Sie zwingt zum Ertrag für den Kredit. Und dabei erzwingt sie die Kontrolle des Subjekts (S. 44), als „Arbeit am Selbst, eine Tortur des Selbst“ (Nietzsche). Schafft man diese Selbstkontrolle nicht, so wird  sie – so wie die Regelung des Kredits – von staatlichen Sozialapparaten übernommen, die damit aber auch für die Kontrolle des Individuums Sorge tragen. Diese Kontrolle hat dann zum Beispiel die Form des Zwangs zur Annahme von Arbeiten, zur Offenlegung des eigenen Lebens. Der Wohlfahrtsstaat verschuldet sich damit aber selbst und wird so mehr und mehr dem Druck der Gläubiger ausgesetzt.

 

 

 

Schulden drücken Machtverhältnis aus

 

Schulden und Finanzen seien nicht als Krankheiten des Kapitalismus zu bezeichnen, die aus Habgier und individueller Gier entstehen, sondern als „strategische Dispositive“ (S. 72), sagt Lazzarato deswegen. „Haben wir einmal akzeptiert, dass die gegenwärtigen Krisen nicht aus irgendeiner Abkoppelung der Finanzen von der Produktion, der sogenannten virtuellen von der sogenannten realen Wirtschaft entstehen, sondern dass sie ein Machtverhältnis ausdrücken zwischen Gläubiger und Schuldner, dann muss man sich mit dem zunehmenden Zugriff der Schulden auf die neoliberalen Politiken beschäftigen.“ (S.39) Die Logik des Zwangs gegenüber dem Schuldner umfasst längst ganze Staaten wie Griechenland und schaltet deren demokratischen Spielraum aus. „Schließlich ist der Kredit kein Ort der öffentlichen Meinungsbildung“ (S. 130). Budgetstrenge sei immer eine Machttechnik zur Durchsetzung von Interessen (S. 21). Auch Lazzaratos Ausblick ist skeptisch: Denn häufig werden aus „endlichen Schulden“ „unendliche Schulden“ (S. 75). Und zunehmend prägen sie unser aller Leben. Dieser Analyse ist mit triftigen Argumenten kaum etwas entgegenzusetzen. S. W.

 

 

 

 Maurizio, Lazzarato: Die Fabrik des verschuldeten Menschen. Ein Essay über das neoliberale Leben. Berlin: b_books, 2013. 148 S. € 12,80 [D], 13,20 [A], sFr 17,90 ; ISBN 978-3-942214-02-5