Franz Josef Radermacher

Der Milliardenjoker

Ausgabe: 2019 | 2
Der Milliardenjoker

Franz Josef Radermacher ist Mathematiker und rechnet vor, dass die mit dem Pariser Klimaschutzabkommen von den Staaten zugesagten Reduktionsziele für Treibhausgase nicht reichen werden, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. An die 500 Milliarden Tonnen CO2 sollen demnach bis zum Jahr 2050 eingespart werden, weitere 500 Milliarden Tonnen seien jedoch nötig, um die „Paris-Lücke“ (S. 41) zu schließen. Diese Einsparungen sollen, so der Vorschlag Radermachers in seinem Buch „Der Milliardenjoker“, freiwillig von den VerbraucherInnen, vornehmlich aber von den Unternehmen der reichen Länder als Hauptverursacher des Klimawandels erbracht werden. Und zwar in eigenem Interesse: „Die ‚Top Emitters‘ profitieren ökonomisch am meisten davon, wenn eine Klimakatastrophe vermieden wird. Es geht für sie um die Absicherung ihres Lebensstils und ihrer vielen Eigentumstitel.“ (S. 20) Knapp die Hälfte der CO2-Emissionen werden derzeit von der Einkommensgruppe der reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung verursacht, die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung ist zusammen für rund 10 Prozent verantwortlich (vgl. S. 219).

Neben Effizienzsteigerungen und dem Umstieg auf erneuerbare Energieträger durch eine Verteuerung der CO2-Emissionen setzt Radermacher insbesondere auf die sogenannte „biologische Sequestrierung“, also die Kompensation von Treibhausgasen durch Aufforstungsprojekte in den Ländern des Südens. Einschlägige Initiativen und Anbieter solcher Maßnahmen wie die „Trillion Tree Campaign“ werden im Buch ebenso vorgestellt wie Unternehmen, die sich „Klimaneutralität“ bereits auf ihre Fahnen geschrieben haben. Der Autor meint, dass CO2-Kompensationen in der Klimadebatte unterschätzt werden – neben Aufforstungsmaßnahmen schlägt er auch verstärkte Humusbildung und den Einsatz von Bio-Kohle zur Regeneration von Böden vor (auch dadurch wird CO2 gebunden, S. 149ff.) – und doch in vielen Fällen eine höhere Rentabilität in Bezug auf die Kosten-Wirkung-Relation hätten.

Radermacher warnt vor zu vielen Klimaauflagen durch den Staat etwa gegenüber der Automobilindustrie und dem Immobiliensektor, mehrmals spricht er in dem Zusammenhang sogar von „Klimaplanwirtschaft“ (z. B. S. 272). Und er sieht die Potenziale eines „grünen Lebensstils“ sowie „grünerer Formen der Wertschöpfung“ (S. 233) aus Kostengründen sowie Gründen der Durchsetzbarkeit als begrenzt. Suffizienz ist für ihn keine Zukunftsperspektive.

Radermacher liefert ein nüchternes und realistisches Buch

Das Buch besticht durch einen nüchternen und realistischen Blick, zum Beispiel im Kontext von Fossilenergie und Geopolitik. Dabei ist die zentrale Aussage: der kosteneffizienteste Klimaschutz liegt in der Investition der reichen Länder in Klimaschutzmaßnahmen der ärmeren Länder. Dabei bleiben freilich Fragen offen: Auch die Potenziale für Kompensationsmaßnahmen sind begrenzt und können konterkariert werden. Wenn etwa Aldi Süd die CO2-Emissionen seiner Gebäude und des Fuhrparks durch Aufforstungsmaßnahmen auf „klimaneutral“ stellt, bleibt vergessen, dass das verkaufte Billigfleisch der Supermarktkette aufgrund des Futtermittelanbaus wiederum Regenwälder „vernichtet“. Außerdem kann der Klimawandel nicht auf CO2 reduziert werden, andere Gase wie Methan, das wesentlich aus der Massentierhaltung stammt, sind auch zu berücksichtigen. Um Lebensstiländerungen werden wir da nicht herumkommen. Radermachers Verteidigung des Autos als „Wertschöpfungsmaschine“ (S. 275) inklusive Verbrennungs- und Dieselmotor ist in der modernen urbanen Zivilisation fragwürdig geworden, ebenso wie der hohe Fleischkonsum. Und nicht zuletzt: Wenn CO2-Kompensationsmaßnahmen wirken und auch der Umsetzung der Sustainable Development Goals zuträglich sind, warum diese nicht verbindlich für alle vorschreiben? Unternehmen sind systemisch dem Wettbewerb ausgesetzt, daher sollen alle den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterworfen sein. Der Appell an Freiwilligkeit läuft Gefahr, nichts tun zu müssen und dem Trittbrettfahrerprinzip Vorschub zu leisten.