Der Klimawandel als Demokratiefrage

Ausgabe: 2012 | 1

Es ist kein Geheimnis, dass die armen Länder und deren Einwohner am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Dabei richtet sich der Blick auf periphere Weltregionen wie Afrika südlich der Sahara, Lateinamerika und Asien. Was aber macht Menschen dort verwundbarer gegenüber Temperaturerhöhungen, ausbleibenden Regenfällen, einem ansteigenden Meeresspiegel und zunehmenden Extremwetterereignissen? Und welche Rolle spielen dabei Demokratie, Partizipation und politische Machtverhältnisse? Diesen Fragen widmet sich die Autorin Kristina Dietz. Ihr liegt vor allem daran, die Bedeutung demokratischer Verfahren und politischer Ermächtigung (Empowerment) als Grundvoraussetzung zur Reduzierung von Verwundbarkeit (Vulnerabilität) gegenüber den Folgen des Klimawandels ins Blickfeld zu rücken. Ganz allgemein gelten Armut sowie mangelnde ökonomische und politisch-institutionelle Kapazitäten, gekoppelt mit räumlich-geografischen Rahmenbedingungen, als Voraussetzung öko-sozialer Verwundbarkeit dieser Gesellschaften. „Für entwicklungspolitische Geber, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie nationalstaatliche und lokale Akteure stellt sich im Zusammenhang mit Vulnerabilität die Frage, wie sie die Herausforderungen der Armutsbekämpfung und Demokratieförderung mit denen des Klimawandels vereinbaren können und mit welchen Akteuren sie dabei jeweils zusammenarbeiten sollen.“ (S. 12) Dabeigeht es nicht zuletzt um die Frage, wer über den Zugang, die Nutzung und die Verteilung von Ressourcen sowie über die politischen Planungsund Entscheidungsprozesse entscheidet. Kristina Dietz nähert sich dem Thema anhand von Fallbeispielen aus Zentralamerika (Nicaragua) und Subsahara-Afrika (Tansania). Dabei wird nicht von einem linearen und äußeren Kausalitätsverhältnis zwischen dem Klimawandel und sozialen Systemen ausgegangen, sondern von einem dialektischen Verhältnis zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Die Autorin versteht Verwundbarkeit „als mehrdimensionales, historisch eingebettetes und kontextualisiertes Phänomen, das über soziale und politische Prozesse in Wechselwirkung mit den materiell- stofflichen Folgen des Klimawandels produziert und reproduziert wird“ (S. 13). Die Autorin geht zudem davon aus, dass Problemdeutungen bezüglich des Klimawandels einen Einfluss auf Konzeptionen von Vulnerabilität und Anpassung nehmen können, wobei freilich die Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse und die Rolle des Politischen eine wichtige Rolle spielen.

Zwei Fallstudien

Die Analyse zeigt, dass die Bedingungsgefüge von Vulnerabilität im Nordwesten Nicaraguas „von historisch spezifischen sozial-ökologischen Konstellationen, objektiven sozialen Ungleichheiten und politischen Ausschlussmechanismen bestimmt werden“ (S. 160). Hinzu kommt, dass der ungleiche Zugang zu sozialen Grundgütern nicht nur durch räumliche, sondern vor allem auch durch genderspezifische Differenzen gekennzeichnet ist. Zwar wurden seit 1990 durchaus neue Räume der Partizipation (sogenannte Räte) geschaffen, diese dienen aber als pseudo-demokratische Instrumente zur Legitimierung bereits getroffener politischer Entscheidungen, so die Autorin. Der abschließende Befund lässt kaum Ausblicke auf eine positive Einschätzung zu: „Eine Ausweitung von Handlungsspielräumen im Umgang mit den Folgen des Klimawandels über die bestehenden formalen Institutionen politischer Partizipation ist unter den gegebenen sozialen Kräfteverhältnissen unwahrscheinlich.“ (S. 172) Das zweite Fallbeispiel Tansania zeigt, dass weder die Etablierung liberaldemokratischer Institutionen noch die Schaffung neuer Räume demokratischer Kontrolle und Partizipation etwas am Status quo ändern konnten. „Die Einführung des Mehrparteiensystems hat die politischen Machtstrukturen und Kräftekonstellationen in Tansania weder auf nationaler noch auf lokaler Ebene verändert.“ (S. 236) Auch die Herausbildung von NGOs bieten hier nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Einflussnahme, vielmehr beobachtet die Autorin einen Prozess der „Entdemokratisierung durch Informalisierung“ (S. 237Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass über die bisher entwickelten Ansätze zur Partizipation eine angemessene politische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels nicht stattfindet. Die Reduzierung von Vulnerabilität kann demnach nur dann gelingen, „wenn als traditionell beschriebene hierarchische Herrschaftsmuster überwunden werden und stattdessen liberalrechtsstaatliche Prinzipien und Verfahrensweisen eines ‚guten Regierens‘ das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat politisch organisieren“ (S. 260f.). Dies werde jedoch über prozedurale und institutionelle Veränderungen kaum gelingen. Vielmehr sei ein Demokratisierungsprozesses von unten erforderlich, resümmiert Kristina Dietz. A. A.

 

Dietz, Kristina: Der Klimawandel als Demokratiefrage. Sozial-ökologische und politische Dimensionen von Vulnerabilität in Nicaragua und Tansania. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2011. 320 S., € 29,90 [D], 30,80 [A], sFr 50,80 ISBN 978-3-89691-880-2