Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen von Politik und Natur

Ausgabe: 2010 | 4

Auch Elmar Altvater kritisiert den globalen Kapitalismus und fordert dessen Überwindung. Doch wie der Titel seines neuen Buchs „Der große Krach“ bereits andeutet, zielt er darauf, dessen Krisenphänomene (einmal mehr) zu erklären. Ausführlich beschreibt der Politikwissenschaftler das Funktionieren kapitalistischen Wirtschaftens, die „Notwendigkeit“ der Erzeugung von Mehrwert durch Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und der Natur (was zu deren wachsender Entropie führt) sowie die Verselbstständigung der Finanzmärkte durch die „Geldvermögensbesitzer“. Vermögen und Schulden seien als zwei Seiten einer Medaille zu begreifen; während in einer Inflation die Geldvermögensbesitzer im finanzgetriebenen Kapitalismus zumindest einen Teil ihrer Vermögen verloren hätten, würden durch die eingeschlagene Strategie der Staatsverschuldung jene belastet, „deren Ansprüche reduziert oder gestrichen werden, um den Zinsendienst leisten zu können“ (S. 47, so Altvater zur gegenwärtigen „Bankenrettung“). Manche Länder könnten sich durch Leistungsbilanzüberschüsse über Wasser halten, doch dies funktioniere logischerweise nicht für alle Staaten – so werden letztere noch stärker in die Verschuldung getrieben. Selbstverständlich beschreibt der politische Ökonom auch die Krise von zahlungsunfähigen Staaten – am Beispiel Island  und Griechenland; Irland, Portugal und andere, die noch folgen könnten, waren beim Verfassen des Bandes noch nicht virulent.

 

Mehrfachkrise

 

Anders als in der Krise der 1930er-Jahre käme heute die Krise der Verknappung der fossilen Ressourcen dazu, so Altvater. Ob es auch diesmal zu einer Verschiebung der Hegemonialordnung – in Folge der Krise der 1930-Jahre wurde das britische Pfund vom Dollar als Leitwährung abgelöst – komme, sei noch unklar. Der US-Dollar könne sein führende Rolle verlieren, aber sich auch erneuern. Dass es wie damals auch im Gefolge der nunmehrigen Finanzkrise zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, wie etwa Eric Hobsbawm befürchtet, ist für Altvater nicht ausgemacht. Doch gäbe es die Gefahr, dass durch Unterfinanzierung der öffentlichen Bereiche die „soziale Substanz politischer Demokratie entleert“ werde, was Räume für autoritäre und xenophobische Entwicklungen schaffe (S. 102).

 

Ein Kapitel widmet Altvater der Frage des Wirtschaftswachstums. Dieses sei zwar nicht unbedingt nötig, um Lebensqualität zu erhöhen („Eine Gesellschaft ohne Wachstum ist keine Gesellschaft ohne Fortschritt und Entwicklung.“ S. 130), im kapitalistischen Wirtschaften jedoch systemisch angelegt. Der Ökonom spricht zwar von der „Absurdität und Hilflosigkeit des Quantitativismus der Wachstumsgesellschaft“ (S. 150), kritisiert jedoch auch jene Bestrebungen, die Lebensqualität und Glück jenseits des BIP bzw. der materiellen Verteilung messen wollen. Sie würden jenen in die Hände spielen, die die kapitalistische Akkumulationsdynamik unangetastet lassen. Ohne Umverteilung würde der Glücksdiskurs zur Falle. Nur soziale und politische Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft wären in der Lage, auch den ökologischen Raubbau zu beenden. Altvater fordert daher neben einer europäischen Wirtschafts- auch eine gemeinsame Steuerpolitik.

 

„Die Reparatur der Wirtschafts- und Finanzkrise“ habe, so der Autor weiter, „eine Verschärfung der Peak Oil-Krise und der Klimakrise zur Folge.“ Beides sei geeignet, „die Krise der Ernährung von Milliarden Menschen zuzuspitzen“ (S. 211). „Reparaturen am System“ seien daher kontraproduktiv, „neoliberaler Keynesianismus“ führe zur Rettung eines Systems, das Menschen und Natur ausbeute. Die Staatskrise sei der „sehr hohe Preis dafür, dass das System am Laufen bleibt.“ Am Ende könnte es heißen: „die Krankheit, das ist die Finanzkrise, ist vorbei, der Patient, das sind einige Staaten und Staatenbündnisse, aber ist tot.“ (S. 218)

 

Altvater wird – so ist zu befürchten – in vielem Recht haben, etwas zu wenig kommt jedoch im Buch heraus, was er als Alternative vorschlägt. Wie die Vermögens- und Verschuldungsspiralen durchbrochen und der Raubbau an den Naturressourcen gebremst werden können, wenn nicht durch reformorientierte Begrenzungen und Regulierungen, wird nicht immer klar. Und der Übergang zu einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, in eine solidarische Ökonomie und solare Gesellschaft“ (S. 209) wird zwar benannt, jedoch leider nicht ausgeführt. H. H.

 

Altvater, Elmar: Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen von Politik und Natur. Münster: Westfäl.Dampfboot, 2010. 261 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 33,80

 

ISBN 978-3-89691-785-0