Alain Badiou

Das wahre Leben

Ausgabe: 2017 | 4
Das wahre Leben

Der französische Philosoph Alain Badiou hat sich in diesem kleinen Bändchen viel vorgenommen: Er möchte der Jugend vor Augen führen, was das wahre Leben ist, „la vraie vie“, wie der Originaltitel heißt. Schließlich befinden wir uns in einer Zeit, in der das unwahre, das unlautere Leben durch fehlende Traditionen und einen ständigen ökonomischen Druck das Denken heranwachsender Personen durchdringt. Mit gewohnt kommunistisch-marxistischer Grundhaltung widmet sich Badiou zunächst der Frage, was Jungsein heute überhaupt bedeutet, um schließlich ein differenziertes Bild der männlichen sowie der weiblichen Heranwachsenden zu zeichnen. 

Als besondere Schwierigkeit für die Jugend von heute wird die Nichtexistenz gesellschaftlicher Initiationen angeführt, das Fehlen also von ehemals festgelegten Grenzen wie etwa Heirat oder Militärdienst, die den Übergang einer jungen zu einer erwachsenen Person kennzeichnen würden. „Ohne Initiation verharren die Jugendlichen in einer Art unendlichen Adoleszenz. Gleichzeitig ergibt sich eine Infantilisierung des Erwachsenenseins.“ (S. 28) Da Badiou die Anhäufung immer neuer Besitztümer per se als unreif interpretiert, steht für ihn außer Frage, dass die Verkindlichung als Aspekt der traditionslosen Moderne aus marktwirtschaftlicher Perspektive stets begrüßt und perpetuiert wird. Symbolische Schranken gibt es nicht mehr, vielmehr stehen Jung und Alt in einem losen Kontinuum, in welchem allein die Kaufkraft entscheidet. Um die vorherrschende Misere zu überwinden, plädiert Badiou für eine neue egalitäre symbolische Ordnung, eine die sich weder ökonomischen Zwängen hingibt, noch auf hierarchische Strukturen zurückgreift. 

Auf Überlegungen zum Freud’schen Gründungsmythos und einem dialektischen Weiblichkeitsmodell aufbauend, vertritt Badiou die These, dass die fehlende Initiation bei Söhnen zu einer kindischen Stagnation, zu einer ewigen Adoleszenz führt. Den Töchtern wird hingegen frühreife Weiblichkeit attestiert: „Die Söhne mögen heute für immer unreif bleiben, die Töchter sind hingegen schon immer erwachsen.“ (S. 88) Auf den Frauen liegt dementsprechend auch Badious Hoffnung, eine neue Wertordnung und Symbolwelt zu schaffen. In ihnen sieht er das Potenzial, patriarchalisch geformte Ordnungen aufzubrechen und durch eine „Verweiblichung“ des Denkens zu einer Neuschöpfung gesellschaftlicher Strukturen beizutragen. Mutterschaft wird, da unabdingbar für den Fortbestand der Menschheit, für diese neue Ideenwelt selbstredend als essenziell dargestellt: „Was genau die Frauen (...) erfinden werden, weiß ich nicht. Aber sie haben mein vollstes Vertrauen.“ (S. 110) 

Die Ausführungen des Altphilosophen lesen sich kurzweilig, seine autoritär gesetzten Aussagen haben das Potenzial zu polarisieren. Auf dieser Grundlage kann das Buch sicherlich als gewinnbringend für weiterführende Diskussionen gelesen werden.