Gleich im Prolog zu seiner umfangreichen Abhandlung macht der deutsche Starökonom Hans- Werner Sinn – er ist u. a. Präsident des ifo-Instituts sowie des Weltverbands der Ökonomen – deutlich, worum es ihm geht: die seiner Meinung nach viel zu euphorische und dabei zuwenig treffsichere Umwelt- bzw. Klimapolitik seines Landes zu kritisieren. „Alle scheinen im Bann der grünen Ideologie zu stehen. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendeine führende Zeitung über neue technische Wunderdinge berichtet, die uns helfen, fossile Energie zu sparen und neue Energiequellen zu erschließen.“ (S. 11) So der pole-mische Befund des Autors. Ein paar Seiten weiter wird Sinn noch deutlicher: „Der Klimaschutz absorbiert mittlerweile so viel Kraft, und er drückt durch die horrenden Kosten den Lebensstandard der Deutschen in einem solchen Ausmaß“, so ist Sinn überzeugt, „dass eine nüchterne ökonomische Nutzen-Kostenrechnung des Geschehens vonnöten ist, die über die gefühlsbetonte Semantik der öffentlichen Debatte hinaus geht.“ (S. 13). Diese anzustellen, ist das Hauptanliegen des Buches. Sinn bestreitet den vom Menschen gemachten Klimawandel nicht – das Einleitungskapitel „Warum die Erde immer wärmer wird“ ist gut recherchiert und erklärt die komplexen Phänomene des Klimageschehens ausgezeichnet. Er bestätigt unter Berufung auf den britischen Kollegen Nicholas Stern auch, dass Nicht-Gegensteuern letztlich viel teurer käme. Die ungebremste Klimaerwärmung würde uns langfristig fünf Prozent des Weltsozialprodukts kosten, die Eindämmung der Treibhausgaskonzentration bis 2050 auf dem Niveau von 550 ppm, was einer globalen Temperaturerhöhung von maximal 2 Grad entspricht, jedoch lediglich ein Prozent davon. Fossile Rohstoffnutzung bremsen
Der Ökonom bezweifelt aber die Effizienz vieler der in Deutschland gestarteten Maßnahmen, so jene für „grünen Strom“, begrenzt auch der Kraft- Wärme-Kopplung. Nicht weil hier keine Alternativen zu fossilen Brennstoffen entwickelt würden, sondern weil zu stark in das Marktgeschehen eingegriffen werde. Ausgehend vom „Gesetz des einen Preises“ schlägt Sinn vor, dass Deutschland sich auf seine vertraglichen Verpflichtungen beschränken und den Rest dem Emissionshandel (Markt) überlassen solle. Dieser fände dann am ehesten die ökonomisch wie ökologisch wirksamsten Entwicklungspfade. Der Ökonom kritisiert daher jede Form von Sonderförderung (etwa für Photovoltaik) oder Sondersteuern (Ökosteuer auf fossile Energie) und er verneint auch – was nicht weniger fragwürdig ist – jegliche Form von Maßnahmen unterhalb der bundesstaatlichen Ebene: „Weder Länder noch Kommunen haben auf dem Feld des weltweiten Klimaschutzes etwas zu suchen“ (S. 158). Auch Argumente wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten durch die Energiewende lässt Sinn nicht gelten. Denn das in erneuerbare Energien investierte Geld fehle dann in anderen Bereichen, in denen ebenfalls Arbeitsplätze entstehen könnten; und die ausgegebenen Petrodollars würden im globalen Wirtschaftskreislauf irgendwie auch wieder nach Deutschland zurückkommen, so die Sichtweise von Sinn. So ist es naheliegend, dass der Ökonom auch den Sonderweg Deutschlands beim Ausstieg aus der Atomenergie kritisiert. „Umgeben von Atomreaktoren“, sei es klüger, „Atomstrom selber zu machen als diesen zu importieren“. Der Autor arbeitet dabei auch mit fragwürdigen Methoden, wenn er den Vergleich von Atomkraft und Windenergie auf den benötigten Flächenverbrauch reduziert. Da es unwahrscheinlich sei, fossile Lagerstätten zu versiegeln, sieht Sinn die einzige Möglichkeit darin, ihre Ausbeutung zu verlangsamen und dabei auf den Markt zu setzen. (Wie groß die Lagerstätten noch sind, zeigt die unten wiedergegebene Abbildung: Reserven bezeichnen dabei die zu heutigen Preisen förderbaren Bestände, Ressourcen die darüber hinaus bekannten Lagerstätten). Anders als eine progressive CO2-Steuer, die zu noch rascherem Abbau der fossilen Brennstoffe führe (da in Zukunft damit weniger Gewinn gemacht werden könnte), würde eine globale Zinssteuer (auf Kapitalerträge) das Geschäft mit dem Öl weniger lukrativ machen. Ergänzt um den Erhalt von (Regen)-Wäldern als CO2-Speicher könnte so der Klimawandel entschleunigt werden. Sinn lehnt auch Agrosprit als ökologisch wie ökonomisch kontraproduktiv ab. Wenn der Autor von „blindem Aktionismus“ der „grünen Republik“ Deutschland spricht, ist Vorsicht geboten. Es wäre aber verkehrt, die ausführlich dargelegten Argumente reflexartig abzutun. Zielführender ist, sie kritisch zu prüfen und allenfalls zu widerlegen, um einem möglichen „Rollback“ hinsichtlich Klimapolitik entgegenzuwirken. H. H.
Sinn, Hans-Werner: Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Berlin: Econ, 2008. 477 S., € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 43,60 ISBN 978-3-430-20062-2