Das Abgleiten idealistischer Protestbewegungen

Ausgabe: 1995 | 1

Vor 25 Jahren schrieb der US-Amerikaner Theodore Roszak einen Klassiker der 68er-Bewegung "Gegenkultur" - eine fundierte Analyse der entfremdenden Zustände, die nicht nur junge Menschen bewegten, lautstark auf den Straßen für eine tiefgreifende Änderung der sozialen Lebensbedingungen zu demonstrieren. In seinem neuesten Buch bemüht er u. a. Freud und Herbert Marcuse, um das Abgleiten der idealistischen Protestbewegungen in einen kleinbürgerlichen Hedonismus begreifbar zu machen. Er konstatiert eine Flucht vor den Auswirkungen der krisenhaften Zustände, die in ihren Dimensionen sowohl global als auch tief in die Psyche des Einzelnen reichend sichtbar werden, und demaskiert die "Hilfsbereitschaft" etablierter Politiker und Wirtschaftseliten des" Westens" gegenüber dem unterstützungsbedürftigen Osten (und Süden) als einen Beitrag zur "seelenzermahlenden Geschichte des industriellen Fortschritts: größere Systeme, größere Märkte, mehr Konsum, mehr Gewinn."

Jenen, die ihrem "Ich" modebewußt ein "Öko-"Mäntelchen umgehängt haben, reißt er es erbarmungslos herunter. Er stellt fest, daß die Industriegesellschaft Vermassung braucht, "um ihre außerordentliche Gewalt über die Natur auszuüben: Massenproduktion, Massenmedien, massenhafte Vermarktung". Unsere komplexe Weltwirtschaft sei "auf Milliarden kleiner privater Akte der psychischen Unterwerfung aufgebaut". Gleichzeitig aber drückt er auch seinen tiefen Respekt vor der spirituellen und religiösen Dimension aus, die uns hilft, die radikalen Ansprüche von "Gaia" zu erkennen und ihre Strafen für die Übertretung ihrer Gesetze zu bewältigen. "Aber Gaias Pläne sind vielleicht ganz andere. Ihr Interesse gilt dem weltweiten Kongreß unautorisierter Identitäten, die wir überall um uns herum aufstehen und voller Ungeduld nach einer anderen Art von Reichtum Ausschau halten sehen ... Wenn Gaia den zerstörerischen Angriff der weltweiten Industrialisierung abfangen soll, dann muß die Macht der Selbstversklavung gebrochen werden ... Auf dem Höhepunkt der industriellen Ära ruft Gaia uns zurück zu der ältesten philosophischen Aufgabe: Erkenne dich selbst! "

In den zusammenfassenden acht" Prinzipien der Ökopsychologie" präzisiert Roszak unter Punkt 7.: "Alles, was zur Etablierung überschaubarer sozialer Formen und zur Stärkung der Persönlichkeit beiträgt, nährt das ökologische Ich. Alles, was nach großangelegter Dominanz und Unterdrückung der Persönlichkeit strebt, unterminiert das ökologische Ich. Daher stellt die Ökopsychologie die Vernunft unserer alles verschlingenden urban-industriellen Kultur grundsätzlich in Frage, unabhängig davon, ob sie kapitalistisch oder kollektivistisch organisiert ist."

M. Rei.

Rozsak, Theodore: Ökopsychologie. Der entwurzelte Mensch und der Ruf der Erde. Stuttgart: Kreuz, 1994.474 S., ca. DM / sFr 68,-/ öS 530,50