Chinas neue Seidenstraße

Ausgabe: 2018 | 4
Chinas neue Seidenstraße

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Der Rollentausch im Welthandel:

China hat das Großprojekt „Neue Seidenstraße“ 2013 durch Staatspräsident Xi Jinping verkündet. Für umgerechnet 113 Mrd. Euro soll die Infrastruktur für neue Handelsrouten nach Europa, Asien und Afrika geschaffen werden. SkeptikerInnen warnen davor, dass die Volksrepublik damit den Einfluss auf die Weltwirtschaft ausweiten will. Die Autoren, allesamt promovierte Hochschullehrer, meinen, dass viele „Beobachter im Westen befürchten, dass mit der neuen Seidenstraße eine Entwicklungsdiktatur der Chinesen exportiert werden soll“ (S. 150). Bisher haben sich dessen ungeachtet mehr als 100 Länder und 30 Anrainerstaaten der Seidenstraßen-Initiative angeschlossen. Nach offizieller chinesischer Lesart ist es „die global größte, praktisch begonnene Entwicklungsinitiative zur Veränderung des Zivilisationszustandes“ (S. 159).

Die Vision einer neuen Welthandelsroute in Anlehnung an die historische Seidenstraße ist zentraler Bestandteil der chinesischen Neuorientierung im freien Welthandel. Dabei geht es um eine äußerst ambitionierte Verbindung durch Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und den Iran. Gedacht ist dabei aber auch an eine Ausdehnung des Seehandels durch maritime Routen. China selbst spricht dabei von wechselseitigen Vorteilen, Wirtschaftswachstum und Aufschwung. „Dass die Sicherung der großen Öl-, Edelmetall- und Gasvorkommen sowie sonstigen Rohstoffe in Zentralasien ein weiteres wesentliches Motiv darstellen“ (S. 9), liegt für die Autoren auf der Hand.

Neue Formen globaler Kooperation

In weiterer Folge geht es detailliert um die Dimensionen der „One Belt One Road“-Initiative (OBOR), deren Verlauf und strukturelle Herausforderungen zu Lande und an den Küsten auf dem Seeweg. Finanziert werden soll das Projekt durch die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) mit Sitz in Peking. Neben diesem Mammut-Projekt steht China aber unverändert vor weiteren gewaltigen Aufgaben, so Hartmann/Maennig/Wang: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss sich die Wirtschaft weiter modernisieren. Das Ziel des aktuellen 13. Fünfjahresplans ist die Umstrukturierung der chinesischen Volkswirtschaft von einer investitions- und exportorientierten zu einer innovationsgetriebenen.“ (S. 11) Es ist zu konstatieren, dass sich vor dem Hintergrund enger Wirtschaftsbeziehungen die Kritik an Menschenrechtsverletzungen, am Umgang mit AnwältInnen, JournalistInnen und DissidentInnen in allen westlichen Ländern in Grenzen hält. In China selbst sind ohnehin die persönliche Karriere, das familiäre Glück und regierungsseitig gewährte Reisemöglichkeiten wichtiger als Freiheit und Demokratie oder ein nicht zensiertes Internet. (vgl. S. 159)

Abschließend halten die Autoren fest, dass es gerade „in Zeiten großer Verunsicherung hinsichtlich des weiteren Fortschritts im Freihandel und der Globalisierung“ geraten sei, aktiver über neue Formen der globalen Kooperation nachzudenken. (S. 151) Diesbezüglich bleibt festzuhalten, dass die EU eher getrieben als agierend wirkt. Den EuropäerInnen fällt es mangels oder gescheiterter eigener Ideen sowie vor allem interner Herausforderungen offensichtlich schwer, „über den eigenen Schatten zu springen und der Initiative jene Dimension zuzuerkennen, die sie international zunehmend gewinnt“ (ebd.). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bei seinem China-Besuch Anfang 2017 allerdings eine europäisch-chinesische Zusammenarbeit beim Aufbau der neuen Seidenstraße beschworen und betont, dass eine Straße per Definition nur gemeinsam genutzt werden kann. Im Mai 2017 gab die Deutsche Bank das Versprechen, gemeinsam mit der China Development Bank in den kommenden fünf Jahren drei Milliarden Dollar für Infrastruktur auf der „Neuen Seidenstraße“ zu investieren. (vgl. FAZ online v. 31.5.2017) Schön langsam scheint Europa aufzuwachen. Gleichzeitig warnen Autoren der Berliner Denkfabriken „Mercator Institute for China Studies“ (Merics) und „Global Public Policy Institute“ (GPPI) vor „Chinas rasant zunehmenden Bemühungen um politischen Einfluss in Europa“ (F. Böge: Lohnende Ziele für Pekings Propagandaapparat. FAZ, 6.2.2018, S. 3), die eine ernstzunehmende Herausforderung für liberale Demokratien sowie Europas Werte und Interessen darstellen. Wie der Westen diesen Bestrebungen begegnen wird, bleibt eine spannende Frage.

Von Alfred Auer

Hartmann, Wolf D.; Maennig, Wolfgang; Wang, Run: Chinas neue Seidenstraße. Kooperation statt Isolation. Der Rollentausch im Welthandel. Frankfurt/M.: Frankfurter Allgemeine, 2017. 214 S., € 19,90 [D], 20,50 [A] ISBN 978-3-95601-224-2