Dieser Band versammelt Aufsätze aus den letzten 20 Jahren, in denen Maturana sein Konzept einer konstruktivistischen Kognitionstheorie entwickelt. Es handelt sich also um ein wissenschaftsgeschichtliches Buch, an dem die Entwicklung des modernen Konstruktivismus ablesbar ist. Maturana widmet sich klassischen Fragestellungen wie: Realität und Realitätserkenntnis, Objektivität der Erkenntnis, Beobachtung, Erklärung, Sprache usw. unter dem Blickwinkel naturwissenschaftlicher Methodologie: Eine deutliche Abgrenzung gegenüber Transzendentalphilosophie oder klassischer Ontologie, die für ihn alternative philosophische Konzepte darstellen, die nicht in der Lage sind, die Qualität naturwissenschaftlicher Erklärung zu erreichen.
Freilich wird beim Lesen dieser Aufsätze klar, daß Maturanas Erklärungsmodell zwar eine Alternative zu klassischen transzendentalphilosophischen und ontologischen Philosophien anbietet, aber damit auch wissenschaftstheoretische Defizite naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle reproduziert, etwa das solipsistische Erklärungsmodell, Beobachtung als ontische Reduktion und die fraglose In-Eins-Setzung von systemtheoretischem Erklärungsmodell mit der Realität. Fragwürdig, um nicht zu sagen peinlich wird das so entwickelte naturwissenschaftlich-biologistische Erklärungsmodell bei Anwendung auf soziale und gesellschaftliche Phänomene, da sie ernstzunehmende kommunikationstheoretische und soziologische Erkenntnisse der letzten 20 Jahre nicht mit einbezieht und sich damit ins anachronistische Abseits manövriert. Insofern ist diese Publikation kein guter Dienst an der herausragenden Forscherpersönlichkeit des Humberto Maturana.
G. W.
Maturana, Humberto R.: Biologie der Realität. Frankfurt/M: Suhrkamp, 1998. 390 S., DM 68,- / sFr 62,- / öS 496,-
