Big Data

Ausgabe: 2014 | 1

Das Zeitalter von Big Data ist angeblich längst angebrochen. Der Begriff bezeichnet zunächst einmal nur große Datenmengen aus verschiedenen Quellen, die erfasst, verteilt, gespeichert, durchsucht, analysiert und visualisiert werden können. Das Sammeln dieser Daten erfolgt über Protokolle von Telekommunikationsverbindungen, Web-Zugriffen, Kameras, Mikrofonen und andere Sensoren, durch Finanz-Transaktionen, Börsendaten, Energieverbrauchsdaten und nicht zuletzt auch durch Rezept-Verschreibungen von Ärzten. Nach Web 2.0, Social Media und Mobilem Entertainment soll nun also „Big Data“ die Art und Weise verändern, wie wir leben, arbeiten und denken. Der Zugang zu all den Informationen über Menschen, Dinge und ihre Interaktionen ist heiß begehrt.

In der vorliegenden Textsammlung werden im ersten Teil in Interviews mit Akteuren jene Felder vorgestellt, auf denen sich Big Data derzeit ereignet. Es wird versucht zu zeigen, wie es funktioniert und was man damit machen kann. Im zweiten Teil geht es darum, was das Prinzip „Big Data“ bedeuten könnte und welche Herausforderungen sich angesichts der großen Datenflut aus wissenschaftlicher, rechtlicher und politischer Perspektive stellen. Einem Bericht zufolge sind bis 2007 bereits 850 Milliarden Anrufe und 150 Milliarden Internetdaten gespeichert worden, täglich kommen ein bis zwei Milliarden dazu.“ (S. 285)

Die NSA-Abhöraffäre zeigt, wie leicht jeder einzelne unserer Schritte aufgezeichnet, gespeichert und weiterverwertet werden kann. Sie zeigt aber auch, wie weit die zivile und die militärische Welt schon verschmolzen sind. Frank Schirrmacher nennt es „eine Symbiose kommerzieller und militärischer Rationalität“ (S. 273). Für ihn macht der NSA-Skandal deutlich, dass Überwachung eben nicht nur ein Bestandteil der militärischen Sphäre, sondern auch der industriellen Moderne ist. Im Übrigen könnte die Regulierung sozialer Kommunikation tatsächlich zur Freiheitsfrage einer Gesellschaft werden. Schirrmacher fordert Europa deshalb auf, Alternativsysteme zu schaffen, „die sich der unmittelbaren kommerziellen Nutzung entziehen und damit die Verschmelzung der Kerne womöglich beenden: zumindest im Bereich der Online-Suche und der sozialen Netzwerke.“ (S. 279)

Die Herausgeber wundern sich überdies, wie verwundert die deutsche Zivilgesellschaft im Frühsommer 2013 auf die Enthüllungen Edward Snowdens reagiert hat, nachdem wir uns längst von Google die richtigen Webseiten suchen, von Amazon die richtigen Bücher empfehlen und von Facebook die richtigen Freunde haben nennen lassen (vgl. S. 14).

Mit sechs Provokationen nähern sich danah boyd (sic!) und Kate Crawford dem Thema. Beide gehen davon aus, dass durch Big Data unsere Definition von Wissen verändert wird, „indem wir die entscheidenden Fragen über die Verfasstheit des Wissens, über Forschungsprozesse, die Natur und die Kategorien der Realität sowie darüber stellen, wie wir mit Informationen umgehen sollen“ (S. 193). Zudem führe der Anspruch auf Objektivität und Genauigkeit in die Irre, denn auch die Arbeit mit Big Data ist subjektiv, „und die quantitativen Ergebnisse sind nicht automatisch näher am Status von objektiven Wahrheiten“ (S. 196). Gleichzeitig bedeuten mehr Daten nicht automatisch bessere Daten und außerdem haben diese nur in spezifischen Zusammenhängen ihre Bedeutung. Schließlich geht es auch um Wahrheit, um Kontrolle, um Machtverhältnisse und nicht zuletzt darum, wer den Zugang zu den Daten hat bzw. diesen kontrolliert.

Barbara Junge zeigt auf, dass wir längst millionenfach gelistet und kategorisiert sind: nach vermeintlichen Präferenzen und tatsächlichem Konsumverhalten, nach Wohnort, Alter und Geschlecht. „Das ‚Recht auf informationelle Selbstbestimmung‘, durch das Bundesverfassungsgericht zum Datenschutz-Grundrecht erhoben, ist in dieser schönen Datenwelt kaum mehr als eine Illusion“ (S. 24). Laut New York Times, so Junge, hat der Konzern Acxiom in den USA die größte Konsumenten-Datenbank der Welt. Auf mehr als 23.000 Servern lagern dort Informationen über 500 Millionen aktive Konsumenten weltweit. Auf der Suche nach ihren eigenen Daten entdeckt sie einen 44-Seiten-Bericht bei Amazon, bei Ebay erfährt sie auch einiges und Facebook weiß fast alles über sie. Zusammenfassend stellt sie fest, dass unsere Daten längst „ein wichtiger ökonomischer Faktor auf einem gigantischen Markt“ sind (S. 34) .

Fußball und Politik

Weltmarktführer der Datensammler von Fußballspielern ist die Firma Amisco/Prozone, die mit über 100 Angestellten jährlich über 9000 Fußballspiele auswertet. „Die Firma ermöglicht es den Vereinen unter anderem, gezielt nach Spielern mit einem ganz bestimmten Profil zu suchen“ (S. 56). Im Beitrag „Erscanne dich selbst!“ geht es um das Netzwerk „The Quantified Self“ mit dem zentralen Ziel, Erkenntnisse u. a. zu persönlichen, gesundheitlichen und sportlichen sowie gewohnheitsspezifischen Fragestellungen zu gewinnen (www.quantifiedself.com und www.quantified-self.de).

Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Big-Data-Projekt von Barack Obama zur Wiederwahl, bei dem es darum ging, das Wählerverhalten und damit das Wahlergebnis schon Monate vor der Wahl zu berechnen.

Interessant sind auch die Ideen des Physikers Dirk Helbing, der der Europäischen Kommission ein eine Milliarde Euro teures Computersystem vorgeschlagen hat, das in Zukunft der ganzen Welt als Glaskugel dienen solle. Im Mittelpunkt des „Futur- ICT Knowledge Accelerator and Crisis-Reliéf System“ steht der Living Earth Simulator, „mit dessen Hilfe die unzähligen sozialen, biologischen, politischen und physischen Kräfte, die in unserer Welt am Werk sind, modelliert werden sollen, um uns einen Blick in die Zukunft zu ermöglichen“ (S. 223).

Sehen einige in Big Data also die Gefahr der totalen Überwachung, bietet es für andere gigantische Wachstumschancen und neue Möglichkeiten (etwa hinsichtlich der Bewältigung der Energieknapp- heit). Bei allem Für und Wider können wir nur hoffen, dass es eine natürliche Grenze gibt, wenn es darum geht, Systeme erfolgreich zu modellieren. Alfred Auer

Big Data. Das neue Versprechen der Allwissenheit. Red.: Heinrich Geiselberger … Berlin: Suhrkamp, 2013. 309 S., € 14,- [D], 14,40 [A], sFr 19,60  ; ISBN 978-3-518-06453-5