Beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus

Ausgabe: 1999 | 4

Im Zentrum dieses Buches stehen die Auswirkungen, die die digitalen Kommunikationsmedien auf die Gesellschaften der Moderne mutmaßlich haben werden. Glotz prophezeit, daß eine neue Gesellschaftsformation - der "digitale Kapitalismus" - entstehen wird, deren Charakteristika sich bereits heute deutlich abzeichnen. Für die nächste Zukunft sieht der Autor eine Verschiebung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zugunsten der ökonomischen und zuungunsten der politischen Machteliten voraus. Die Regierungen werden kaum noch in der Lage sein, steuernd in wirtschaftliche Prozesse einzugreifen und die entfesselten Marktkräfte zu bändigen.

Im wirtschaftlichen Bereich erwartet Glotz tiefgreifende Veränderungen. Es werden neuartige, v.a. virtuelle Unternehmenstypen mit weniger hierarchischen und zentralistischen Organisationsstrukturen entstehen. Ein Großteil des mittleren Managements wird verschwinden, weil Computernetzwerke (Intranet, Extranet und Internet) ihm seine klassischen Aufgaben - Überwachung und Kommunikation mit der Unternehmensleitung - abnehmen werden. Die Lage der Arbeiter und Angestellten wird sich erheblich verschlechtern. Ungeregelte, zeitlich befristete und gering entlohnte Beschäftigungsverhältnisse und scheinautonome Kleinunternehmen werden überhand nehmen.

Die ungeheure Beschleunigung des Arbeits- und Lebenstempos, die der digitale Kapitalismus erzwingt, wird laut Glotz zu heftigen Kulturkämpfen zwischen Beschleunigern und Entschleunigern führen. Dabei werden zwei Lager einander gegenüberstehen: ein von den Symbolanalytikern angeführter Zweidrittelblock, der alle umfaßt, die über Macht, Kapital oder einen Arbeitsplatz verfügen; und ein Eindrittelblock gesellschaftlich Ausgegrenzter, der sich aus Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Rebellen und Aussteigern zusammensetzt. Glotz hält gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern dann für möglich, wenn die politischen und ökonomischen Machteliten nicht bereit sein werden, sich mit dem ausgegrenzten Drittel zu verständigen und ihm materielle Zugeständnisse zu machen.

Glotz begreift die Heraufkunft des digitalen Kapitalismus als einen unaufhaltsamen Prozeß, der angeblich allein durch die mikroelektronische Revolution in Gang gehalten wird. Er verdammt deshalb alle, die sich dem angeblich Unausweichlichen entgegenstemmen - seien es nun rückwärtsgewandte und elitistische Medientheoretiker wie Virilio, Baudrillard oder Postman, seien es nun Gewerkschaftler, die den Status quo um jeden Preis bewahren wollen. Andererseits entdeckt Glotz in den digitalen Medien ungeheure Potentiale. Die Menschen müßten sich nur die erforderlichen Medienkompetenzen aneignen und lernen, reaktionsschnell, geistesgegenwärtig und flexibel zu reagieren.

F. U.

Glotz, Peter: Die beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus. München: Kindler, 1999. 288 S