Ästhetischer Kapitalismus

Ausgabe: 2016 | 4
Ästhetischer Kapitalismus

Gernot Böhme schreibt im Suhrkamp Verlag über Ästethischen KapitalismusGernot Böhme schreibt in marxistischer Tradition. Dabei fällt es ihm nicht schwer, frühere Überlegungen über Bord zu werfen und durch Aktualisierungen oder Korrekturen zu ersetzen. Die Aktualisierung marxistischen Gedankenguts scheint also kein ausgestorbenes Genre zu sein.

Im Kapitalismus wird investiert, um den eigenen Besitz zu vermehren. Für Marx hat dies zwei Ebenen. Zum einen in der Produktion die Erzielung eines Mehrwerts. Das bedeutet, dass die hergestellten Produkte mehr (Arbeitszeit) wert sind als an Arbeitszeit für Arbeit, Rohmaterial, Erneuerung der Maschinen u. a. nötig waren. Zum anderem geht es darum, diese Produkte zu einem Preis zu verkaufen, der höher ist als die Geldsumme, die für die Herstellung aufgewendet wurde. So entsteht der Profit. Der Profit entspricht langfristig dem Mehrwert. Soweit Marx.

Böhme meint nun, dass das System ein Problem bekommt bei der Herstellung des Profits. Für den Mehrwert wird noch genug an Arbeitszeit angeboten, die man kaufen kann. Für den Verkauf der Produkte fehlt aber in der westlichen Welt der Markt. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wirtschaft und Handel sei im Großen und Ganzen abgeschlossen. Auch die ökonomisierten Tätigkeiten des innerfamiliären Raumes (Kochen, Kinderbetreuung, Freizeitgestaltung, Unterhaltung) werden durch Industrien erfasst, weiteres Wachstum lasse sich aus ihnen gegenwärtig nicht generieren. „Für weiteres friedliches Wachstum … bleibt einzig der Konsum zur Lebenssteigerung, nicht derzur Lebenserhaltung. Dieser besteht jedoch in der Ausstattung des Lebens, im Sehen und Gesehen–Werden, im Hören und Gehört-Werden und in der Steigerung der Mobilität, der physischen einerseits und der virtuellen andererseits.“ (S. 15) Deswegen würden heute große Teile der Produktion durch ästhetische Werte bestimmt. Dabei gehe es dem Konsumenten um die Distinktion: „Die Ökonomie der Zeichen, die sich in den sechziger Jahren noch in einer Hierarchie von Statussymbolen ausgeprägt haben mag, ist heute einer Signalisierung und Inszenierung von Gruppenzugehörigkeiten gewichen, die eine Mannigfaltigkeit von Gruppierungsstilen und Lebensformen artikuliert, die mit gesellschaftlicher Schichtung und Herrschaft wenig zu tun haben.“ (S. 43)

Dies treibe die Ästhetisierung der Realität voran, die ökonomisch Sinn macht: Denn diese neue Ökonomie setzt auf „Begehrnisse“, d. h. auf Bedürfnisse, die dadurch, dass man ihnen entspricht, nicht gestillt, sondern gesteigert werden. „Die Entwicklung dieser Begehrnisse nach Gesehen-Werden, nach Ausstattung, nach Selbstinszenierung sind die Basis einer neuen praktisch unbegrenzten Ausbeutung. Auf ihrer Basis kann Konsum zur Leistung gemacht werden, wird das Leben im Überfluss zum Stress und die Veraus- gabung zur Pflicht.“ (S. 45) Grundsätzlich ist für den Autor die Verschiebung von (erfüllbaren) Bedürfnissen nach (sich steigernden) Begehrnissen der Kern der gegenwärtigen Entwicklung des Kapitalismus (S. 76).

Böhme legt in dem Buch nach, indem er auf der Grundlage seiner Theorie auch andere Aspekte analysiert. Über Wachstum meint er, dass dieses dem Kapitalismus inhärent sei und eine nicht-kapitalistische Wirtschaftsform anzustreben sei, wenn man die ökologischen Grenzen des Wachstums ernst nehme. Er beschäftigt sich weiters mit Leistungsdenken, Architektur und Geschmack. Lesenswert.

Bei Amazon kaufenBöhme, Gernot: Ästhetischer Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp, 2016. 159 S., € 14,- [D], 14,40 [A] ; ISBN 978-3518127056.