Arbeit und Freiheit im Widerspruch?

Ausgabe: 2009 | 2

Nicht die Überwindung des Kapitalismus, sondern die Überwindung der Erpressbarkeit der Bürger-Innen durch diesen ist das Ziel einer anderen, seit längerem von unterschiedlichen Seiten erhobenen Forderung: das bedingungslose Grundeinkommen (BGE), das aus der Produktivität des  Wirtschaftssystems finanziert wird. Im vorliegenden aus einem Workshop des „Forums Neue Politik der Arbeit“ hervorgegangenen Band werden bewusst kontroverse Ansichten zum BGE versammelt, um einen kritischen Diskurs etwa zwischen Gewerkschaften, die auf dem Primat der gesellschaftlichen Arbeit beharren, und NGOs wie etwa Attac, die im Grundeinkommen einen Schritt in Richtung mehr Freiheit und Autonomie der BürgerInnen sehen, anzustoßen. Diskutiert werden die Reformpotenziale, die potenziellen Freiheitsgrade, die Umsetzbarkeit und Finanzierung des BGE. Stellvertretend für die insgesamt 18 Beiträge sollen exemplarisch zwei herausgegriffen werden.

 

Karl Georg Zinn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen, sieht drei Probleme im BGE: 1.) die mangelnde Durchsetzbarkeit. Ein pragmatisches Politikkonzept sei nur eines, „welches realistische Aussichten hat, mehrheitsfähig zu werden“ (S. 139) Der Souverän in Deutschland wünsche sich keine als utopisch wahrgenommene Konzepte, sondern die Wiedergewinnung von „bewährten Normalverhältnissen“, das hieße „Rückkehr zu Vollbeschäftigung und Sozialstaatlichkeit, Regenerierung solidarethischer Einstellung der Politik(er)“ und – als Voraussetzung dafür – „ausgeglichenere Einkommens- und Vermögensverhältnisse“ (ebd.)

 

Zinn plädiert dafür, sich auf diese sozialen Ziele zu konzentrieren. Denn zur mangelnden Akzeptanz käme 2.) das Finanzierungsproblem, das nicht zu leugnen sei, wenn das Grundeinkommen tatsächlich Existenz sichernd sein soll (gesprochen wird von 1.000 Euro/Monat). Ein BGE von 350 Euro, dem eine „gewisse Realisierungschance“ zugesprochen wird, würde zur „Abschiebung deprivierter Bevölkerungsteile ins soziale Ghetto“ führen (S. 142). Nicht zuletzt und 3.) würde das BGE das originäre Bedürfnis des Menschen nach Arbeit/Tätigkeit vernachlässigen, was dazu führen würde, dass Menschen dann zu Minimallöhnen arbeiten (BGE als indirekte Lohnsubvention) bzw. die Möglichkeit sich einzubringen unterbinden und damit einer Fehlsozialisierung Vorschub leisten (was Zinn insbesondere bei Jugendlichen fürchtet, denen das BGE erlaubte, „sich in einer subkulturellen (Nischen-)Welt einzurichten und den fleißigen Spießern eine lange Nase zu drehen.“ (S. 143f). Das BGE könnte somit zu einer „noch verschärften Spaltung der Gesellschaft“ beitragen, befürchtet Zinn.

 

 

 

Schrittweise Umsetzung

 

Optimistischer sieht Claus Offe, langjähriger Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin, die Möglichkeiten des BGE. Ausgehend von der Tatsache, dass das „Produktionsproblem“ und das „Verteilungsproblem“ dank Automatisierung immer mehr von einander entkoppelt zu sehen seien, könnte das BGE die Freiheitsspielräume der Menschen ausweiten und damit auch die menschliche Würde. Denn die Parole, dass jede Arbeit besser sei als keine Arbeit, negiere das elementare Recht, zu einer bestimmten Tätigkeit auch Nein sagen zu dürfen; Autonomie bedeute in diesem Zusammenhang etwa auch das Recht, „am gewählten Wohnort weiterhin zu wohnen und dort Tätigkeiten auszuüben, die >zu mir passen<“(S. 24). Die Erpressbarkeit der Menschen würde sinken: „Jeder Job, den ein Arbeitgeber besetzen möchte, muss ein einigermaßen >guter< Job sein, und der Arbeitnehmer könnte ihn ohne Armutsrisiko kündigen, wenn und sobald sich der Job als ein nicht hinreichend >guter< herausstellt.“ (S, 27) Im übrigen sei staatliche Politik längst nicht mehr auf kollektive Daseinsvorsorge (wie Bildung oder Verkehrswesen) beschränkt, sondern leiste in vielen Fällen bereits heute individuelle Versorgung; so lebten 2006 bereits über 25 Prozent der deutschen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von Transfereinkommen. Offe sieht daher „Pfade des Übergangs“ in ein BGE, die dieses politisch mehrheitsfähig machen könnten. Möglich wäre eine schrittweise Anhebung sowie eine wachsende Skala der „Bedingungslosigkeit“, denkbar wären auch zunächst einmal begrenzte Zeitkonten von bspw. zehn Jahren pro Leben oder die Einziehung einer Altersschwelle etwa von dreißig Jahren, ab denen das Grundeinkommen bezogen werden dürfte (was die Marginalisierung junger Menschen verhindere; s. o. Zinn). Nicht zuletzt könnte das BGE anti-zyklisch gestaltet werden, d. h. dass deren Höhe bei starker Arbeitslosigkeit zunähme, bei niedriger aber zurückgefahren werde (was gerade freilich Finanzierungsprobleme aufwerfen könnte).

 

Der Band gibt in Summe einen guten Einblick in die unterschiedlichen Argumente für und gegen das Grundeinkommen und trägt damit zur Differenzierung der Sichtweisen bei. Fest steht, dass das BGE nicht als Alleinlösung für alle Probleme gesehen werden kann, dass aber die Aufgaben des Staates als (Um-)Verteilungsinstanz in hochproduktiven Wirtschaften, in denen der Faktor Arbeit tendenziell an Gewicht verliert, weiter zunehmen wird. H. H.

 

Arbeit und Freiheit im Widerspruch? Bedingungsloses Grundeinkommen – ein Modell im Meinungsstreit. Hrsg. v. Hartmut Neuendorfer ... Hamburg: VSA-Verl., 2009. 223 S., € 16,80 [D], 17,30 [A],

 

sFr 28,50; ISBN 978-3-89965-353-3