Alterskulturen und Potentiale des Alter(n)s

Ausgabe: 2008 | 2

 

 

Das Thema Alter hat Konjunktur, sei es als demografisches Schreckgespenst („Demografisierung“ gesellschaftlicher Probleme, PZ 3/07*119) oder als positive Ressource (in Form von Freiwilligendiensten) für die Gesellschaft. Bis vor kurzem fast ausschließlich aus dem Blickwinkel von Verlust und Defizit gesehen, wird die Auseinandersetzung mit der “Alterung der Gesellschaft" jetzt verstärkt als Chance gesehen. Auch die vorliegende Publikation verweigert sich der Schwarz-Weiß-Sicht und richtet den Blick auf die Potenziale für die Gesellschaft, die mit der  Errungenschaft des Älterwerdens verbunden sind. Zusammengestellt wurden die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojektes „Kulturelle Variationen und Repräsentationen des Alter(n)s“, das von einem erweiterten, die geistes-, sozial- und medizinwissenschaftlichen Diskurse integrierenden Konzept von Alterskulturen ausging.

 

Zunächst werden die soziologischen und psychologischen Aspekte des Alterns untersucht. Gekennzeichnet durch mehr persönliche Freiheit und durch einen Mangel an verbindlichen gesellschaftlichen Aufgaben zeigt sich, dass die Lebensqualität Älterer stark vom sozialen Status und von sozialen Beziehungen abhängig ist.

 

Deutlich wird in zahlreichen Beiträgen, dass Älterwerden in modernen Gesellschaften erhebliche Potenziale persönlichen und gesellschaftlichen Nutzens in sich birgt. Anhand literarischer Texte aus der Frühen Neuzeit zeigen sich die Wandlungen der Bilder von Liebe, Tod und Alter bis hin zum Wechsel von einer moraltheologisch begründeten zu einer naturrechtlich bestimmten Anthropologie des Älterwerdens. Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit dem Typus der „zänkischen Alten“, der das Bild vom schönen Alter in Heiligendarstellungen mit der „bösen Alten“ kontrastiert, die zu guter Letzt nur den Teufel fürchtet.

 

Unter dem Gesichtspunkt der Alterung stellt Gerd Göckenjan die Veränderungen des Altersbildes vom Rentner in seiner „Rolle der Rollenlosigkeit“ dar. Der Wandel der Wahrnehmung und der Repräsentation des Alters wird hier auch aus Sicht der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte über verschiedene Epochen hinweg verfolgt. Formen der Konstruktion von Alterskulturen analysiert und kommentiert Hans-Georg Pott am Beispiel der Altenberichte der Bundesregierung, Simone de Beauvoirs Altersbuch und der gegenwärtigen „Philosophie des Alters“. Der Umgang mit alten Menschen und den sich ständig wandelnden Bildern des Alters in Nordeuropa wird unter dem Titel „Alter in der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte“ am Beispiel Großbritanniens untersucht.

 

Neben einem Überblick über die kulturellen Konstrukte des Alters in unterschiedlichen Epochen, eröffnet diese Studie auch den Blick auf neue Konzepte im Sinne individueller und kollektiver Bedürfnisse in der Gegenwart. Deutlich wird einmal mehr, dass eine einseitige Orientierung am „Altersquotient“ (Verhältnis der nicht mehr erwerbsfähigen Bevölkerung zu erwerbsfähigen) weder die Arbeitslosigkeit Jüngerer berücksichtigt, noch der Tatsache Rechnung trägt, dass bereits mehr als die Hälfte der über 55-Jährigen – freiwillig oder unfreiwillig – aus der sozialabgabenpflichtigen Erwerbsarbeit ausgeschieden ist (vgl. dazu F. Hengsbach in „Das Reformspektakel“, 2004). A. A.

 

 

Alterskulturen und Potentiale des Alter(n)s. Hrsg. v. Heiner Fangerau ... Berlin: Akademie-Verl., 2007. 253 S., € 49,80 [D], 51,20 [A], sFr 87,15

 

ISBN 978-3-05-004348-7