Yuval Noah Harari

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Ausgabe: 2019 | 2
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Yuval Noah Harari legt uns nahe, mehr zu meditieren. Der (übrigens rational argumentierte) Aufruf steht am Ende seines neuen Buches „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ und ist manchmal Anlass, dass die Diskussion über das Buch einen Schwerpunkt bekommt, der die anderen Kapitel in den Hintergrund rücken lässt. Hararis Buch ist eine Tour de Force durch die wichtigen Themen der Gegenwart. Und Harari scheut sich nicht, über die Zukunft zu sprechen. Noch mutiger: Harari macht Vorschläge, was man in Anbetracht aktueller Entwicklungen ändern sollte.

Die zunehmende Digitalisierung der Arbeit mit der besonderen Bedeutung von Algorithmen wird zu einer Rationalisierung von Arbeitsprozessen führen, was Massenarbeitslosigkeit bringen kann. Parallel dazu bieten die digitalen Technologien die Möglichkeit, dieses Konfliktpotential in der digitalen Diktatur zu kontrollieren.

Es ist für Harari keineswegs eine ausgemachte Sache, dass die digitale Entwicklung eine soziale und politische Schieflage produzieren muss. „Vielleicht könnten genau die Wissenschaftler und Unternehmer, die zuallererst für die Disruption der Welt verantwortlich sind, eine technologische Lösung dafür finden? Könnten beispielsweise vernetzte Algorithmen das Grundgerüst einer globalen menschlichen Gemeinschaft bilden, der gemeinsam alle Daten gehören und die gemeinsam über die künftige Entwicklung des Lebens wacht?“ (S. 122)

Diese Fragestellungen zeigen schon, dass die Herausforderungen der Zukunft für Harari nicht lokale Konflikte sein werden, sondern globale Entwicklungen. „Welche Veränderungen uns in der Zukunft auch erwarten, sie gehen wahrscheinlich mit einem brüderlichen Kampf innerhalb einer einzigen Zivilisation und weniger mit einem Zusammenstoß zwischen fremden Zivilisationen einher. Die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden globaler Natur sein. Was wird geschehen, wenn der Klimawandel ökologische Katastrophen auslöst? Was wird passieren, wenn Computer bei immer mehr Aufgaben die Menschen überflügeln und sie bei immer mehr Tätigkeiten ersetzen? Was wird geschehen, wenn die Biotechnologie uns in die Lage versetzt, Menschen künstlich zu verbessern und die Lebensdauer zu verlängern? Kein Zweifel, es wird enorm viel Streit und erbitterte Konflikte um diese Fragen geben. Aber diese Streitigkeiten und Konflikte werden uns wahrscheinlich nicht voneinander isolieren. Im Gegenteil: Sie werden uns immer stärker miteinander vernetzen.“ (S. 155) Damit ist auch klar, dass sich die Probleme nur auf globaler Ebene lösen lassen.

Globalisierung und Komplexität der Welt

Gerade der globale Charakter der Herausforderung aber wird in Frage gestellt: Denn „[a]ndererseits spalten Nationalismus und Religion unsere menschliche Zivilisation noch immer in verschiedene und oftmals verfeindete Lager.“ (S. 191) Harari nimmt sich in dem Buch Zeit, dafür zu plädieren, dass – egal welche Sicht auf das Leben man hat – man demütiger damit umgehen sollte. Er plädiert dafür, eher denjenigen zu trauen „die Unwissen einräumen, als denjenigen, die Unfehlbarkeit für sich beanspruchen.“ (S. 185)

Parallel zur Globalisierung der Herausforderungen konstatiert Harari eine weiter zunehmende Komplexität der Welt, die vorneweg EntscheidungsträgerInnen – im Speziellen vor allem PolitikerInnen – immer mehr damit konfrontiert, nur einen Teil der Zusammenhänge erfassen zu können. (vgl. S. 295) Die Wissenschaft habe daher die Aufgabe, so gut sie kann mitzuhelfen, Übersicht zu bewahren. Der aktuelle Zerfall des Informationsaustausches in die eigene Meinung bestärkende Blasen verschärft die Situation. Harari fordert deswegen mehr Anstrengungen, wissenschaftliche Erkenntnis in der Gesellschaft zu transportieren.

Harari wendet sich aber auch direkt an den Leser bzw. die Leserin. Zwei Anregungen seien hier ausgewählt: „Wenn Sie wollen, dass Ihre Religion, Ihre Ideologie oder Ihre Weltanschauung der Welt als Orientierung dient, so lautet meine erste Frage an Sie: ‚Was ist der größte Fehler, den Ihre Religion oder Ihre Weltanschauung begangenen hat? Was hat sie falsch gemacht?‘ Wenn Sie mir dann keine einigermaßen ernsthafte und seriöse Antwort geben können, so würde zumindest ich Ihnen nicht trauen.“ (S. 185) Und um zu erkennen, ob man das Leiden der österreichischen Nation oder die von an seltenen (und deswegen unrentabel zu erforschenden) Krankheiten leidenden Menschen ernster nehmen soll: „Wenn Sie mit irgendeiner großen Erzählung konfrontiert sind und wissen wollen, ob sie real oder erfunden ist, lässt sich das mithilfe einer Schlüsselfrage herausfinden: Kann der Held der Geschichte leiden?“ (S. 402)