1998: Helvetische ökologische Verfassung. Ein Entwurf

Ausgabe: 1999 | 4

Im Jahre 1798 rief der Schweizer Politiker und Jurist Peter Ochs die Republik aus und legte dem neuen, liberalen, demokratischen Einheitsstaat eine von ihm verfaßte Helvetische Verfassung zugrunde. Die Abschaffung der alten, aristokratischen Ordnung war damit besiegelt, und der neue Staat verpflichtete sich den Idealen der Französischen Revolution und der Moral der Aufklärung. Damit war eine Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Schweiz zu einem der reichsten Staaten der Welt werden konnte. Dieser Reichtum erwies sich bekanntermaßen als nicht zukunftsfähig. Die Mängel dieser “Moderne” resultier(t)en zwar in einem Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit, dieses laufe allerdings unter den Druck des Neoliberalismus Gefahr, den destruktiven Kräften zu unterliegen.

Beat von Scarpatetti setzt an dieser Dialektik der Aufklärung an und attestiert die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung, die der Autor im folgendem entlang der kulturellen Wurzeln der Helvetischen Verfassung von 1798 und in der Denktradition Thomas Jeffersons, Benjamin Fanklins sowie indianischer Quellen des vorkolonialen Amerikas neu formuliert. Mittels der “Methode der Umschrift” unternimmt er den Versuch, eine den Ansprüchen des Jahres 1998 genügende Ökologische Verfassung zu skizzieren. Entlang der 14 von Ochs verfaßten Artikel soll der “Paradigmenwechsel” sichtbar werden.

Im ersten Teil wird in ebenfalls 14 Punkten einführend die Notwendigkeit einer neuen Verfassung aufgezeigt. Hiernach folgt die eigentliche Umschrift von Begriffen und den damit verbundenen Inhalten: die helvetische Republik und ihre territoriale Integrität wird ersetzt durch den Planeten Erde; das Vaterland durch die Einheit der Biosphäre und durch die Auflösung der alten nationalen Trennungen; der Bürger weicht der Universalität aller Lebewesen. In den folgenden Artikeln werden die Rechte aller Menschen, Tiere und Pflanzen, Lebensgemeinschaften und Landschaften eingefordert, indem eine neue Aufklärung und ein nachhaltiger Lebensstil dem wertrationalem Denken entgegengestellt werden und auf Schranken der Freiheit hingewiesen wird. Die Ökobilanz ausgeglichen zu halten, gelte für jeden Einzelnen und niemandem stehe deren Überschreitung zu. Die nachhaltige Lebensweise wird als das Gute konzipiert und mit einem religiösen Wesen in Verbindung gesetzt. Die Weltreligionen dürften allerdings der Natur kein metaphysisches Prinzip überordnen, das der Natur Gewalt antut. Darüber hinaus müsse sich die Freiheit der Medien neu rechtfertigen, indem sie entsprechend der neuen Aufklärung handelten; das in der alten Verfassung bestätigte und unter Schutz gestellte Privateigentum wird an die Regeln des ökologischen Gemeinnutzens gebunden und kann im Interesse der Natur jederzeit eingeschränkt werden.

Der zweite Teil des Büchleins stellt die Frage, was Ökologie sei, und beantwortet sie wiederum in 14 Punkten. Der Mensch als ein Wesen, am Leben erhalten durch Stoff- und Energieflüsse, müsse eine Ökologische Verfaßtheit wiedererringen. Dazu müsse er sich der fünf Sinne betätigen; das Licht und seine Rhythmen, die Bedeutung von Himmelsrichtungen, Jahreszeiten und Lebenszyklen wahrnehmen und die Sexualität erstrangig bewerten. Die vier Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft) dürften nicht länger pervertiert werden.

In Anlehnung an Fromms Haben und Sein und in Erinnerung an Gesells Kapitalismuskritik gibt der Autor im letzten Teil Antworten auf die Frage “Was tun?”, die sich nicht an ein historisches Subjekt, sondern an den Einzelnen richten. Jeder solle seine Prioritäten klären. Dazu müsse der eigene Handlungsspielraum erkannt, die Art der Ernährung und Kleidung, des Wohnens usf. hinterfragt werden. Bestehende Organisationen, eigene Ideen und Initiativen böten reichlich Möglichkeiten, die unmittelbar zu Verbesserungen genutzt werden könnten.

Das Nachwort des Schriftstellers Adolf Muschg (diesmal 25 Punkte) verschweigt die offensichtlichen Schwächen dieser Umschrift zwar nicht, macht diese jedoch zu keinem Thema: ihm geht es um ihren kulturellen Wert. Wiewohl diese “ökologische Agenda” viele Erwartungen auch nicht zu erfüllen vermöge, so trüge sie doch bei, vieles sichtbar zu machen. Diese “Fürbitte zum Mitleid mit uns selbst” (S 111) beglücke keine Subjekte, sondern habe einen bescheidenen Anspruch. Trotzdem diese Verfassung des Jahres 1998 die Welt nicht verändere, leiste sie dennoch einen wertvollen, ersten Beitrag zu einer “beziehungsfähigen Kultur” (S 115).

Die Botschaft, die Beat von Scarpatetti in seinem “schönen Zeugnis aufgeklärter Nichtwissenschaft” ablegt, lautet trivial wie unausweichlich: DU musst DEIN Leben ändern! Und das ist, wie Muschg betont, eben gerade kein “schwacher Handlungsimperativ”.


D.P.

Scarpatetti, Beat von: 1998: Helvetische ökologische Verfassung. Ein Entwurf. Mit einem Nachwort von Adolf Muschg. Basel: Schwabe & Co. AG Verlag. 119 S, sFr. 40.- / € (D) 40.- / € (A) 41.50