Naomi Klein

Naomi Klein: Doppelganger. A Trip into the Mirror World

Ausgabe: 2024 | 1
Naomi Klein: Doppelganger. A Trip into the Mirror World

Patterns erkennen. Muster erkennen. So beschreibt Naomi Klein häufig ihre Arbeit. Zahlreiche internationale Bestseller hat die Journalistin, Aktivistin und Autorin geschrieben, die bekanntesten und besonders breit rezipierten sind dabei wohl „No Logo. Taking Aim at the Brand Bullies“ (1999), „The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism“ (2007) und „On Fire. The (Burning) Case for a Green New Deal“ (2019). Mit ihren Publikationen, sonstigen Veröffentlichungen und Speakerin-Aufritten ist Klein, die sich selbst politisch als leftist positioniert, über die letzten zwei Jahrzehnte zu einer häufig nach ihren Analysen gefragten Person des öffentlichen Lebens geworden. Nicht zuletzt ihre Kolumne in „The Guardian“, oder auch ihre Stelle als Ko-Direktorin und Professorin am Centre for Climate Justice an der University of British Columbia, zeugen davon, dass ihre kapitalismus- und globalisierungskritische Stimme Impulse setzt, sich in Diskurse einbringt, und vor allem auch, dass ihr zugehört wird. Als thematisches Kernelement ihrer Arbeit kann dabei die Schnittstelle von Krisen und politischen Transformationsprozessen bezeichnet werden, die Frage, wie verschiedene Formen von Krisen als Katalysator für einen umfassenden, sozialen Wandel wirken bzw. wirken können. Oder eben das Erkennen von Mustern.

Naomi Kleins persönliche Doppelgängerin

Das neueste Buch nennt sich nun „Doppelganger. A Trip into the Mirror World“. Und es ist anders als ihr bisheriges Schreiben, einfach weil Kleins Ausführungen diesmal mit vielen persönlichen Informationen und Einblicken ins Privatleben unterfüttert sind, weil der Ausgangspunkt diesmal die Autorin selbst ist: Aufgrund der Namensähnlichkeit wurde Klein online wie offline regelmäßig mit der Autorin Naomi Wolf verwechselt, Aussagen wurden ihr fälschlicherweise zugeordnet, das Durcheinanderbringen wurde, ob der durch Algorithmen bedingten, aber unzuverlässigen Markierungsvorschläge, auf den Sozialen Medien verstärkt. Ein nicht mehr zu verkennendes Ausmaß erreicht die Situation als sich Wolf im Kontext der Coronakrise als selbst proklamierte Expertin in der Querdenker:innen- und Verschwörungsszene einen Namen macht. Auch sie hinterfragt sozioökonomische und politische Machtstrukturen. Auch sie setzt öffentlichkeitswirksam Impulse, bringt sich in Diskurse ein, auch ihr wird zugehört. Existierende gesellschaftspolitische Stimmungen fängt auch sie gekonnt ein. Basisanforderungen des investigativen Journalismus sind Wolfs Argumentationsketten allerdings nicht inhärent. Klein beginnt diese von ihr scheinbar gespiegelte Welt, das Umfeld ihrer Doppelgängerin zu recherchieren, zoomt dabei gekonnt von diversen individuellen Situationen auf gesamtgesellschaftliche Aspekte und vice versa. So entsteht sukzessive ein narratives Netz, dass sich durch kritische Selbstreflexion auszeichnet, und Kontext bietet in Bezug auf historisch gewachsene Dynamiken wie gegenwärtige Komplexitäten.

Die gespiegelte Welt

Kleins Text wird begleitet von Auseinandersetzungen mit der Idee des Doppelgängers in Literatur, Film und Wissenschaftstheorie, sie verflicht diese mit ihren Beobachtungen, so etwa: „When reality starts doubling, refracting off itself, it often means that something important is being ignored or denied – a part of ourselves and our world we do not want to see – and that further danger awaits if the warning is not heeded“ (S. 9). Wenn Klein nun also auf eine gespiegelte Welt hinweist, so schreibt sie von der Notwendigkeit, sich trotz Irritation nicht abzuwenden, sondern sich mit dem gespiegelten Selbst auseinanderzusetzen; sie schreibt vor allem von einer soziopolitischen „doppelganger culture“, wo Oppositionsdenken als Definitionsmerkmal funktioniert; und sie schreibt, warum gerade diese „doppelganger culture“ hilft, im Rückschluss ihre eigene Doppelgängerin besser zu verstehen, denn: „it means she represents a larger and more dangerous form of mirroring – a mimicking of beliefs and concerns that feeds off progressive failures and silences“ (S. 93). Eine Dynamik, in der von linkspolitischer Seite unadressierte Ängste und Skandale, eben nicht zuletzt in Bezug auf Corona, von rechtspolitischen Stimmen bizarr verzerrt und ausgebeutet werden.

Naomi Klein scheint sich mit diesem Buch selbst erfolgreich aus einer Form von Sprachlosigkeit und Nichtverstehen herausgeschrieben zu haben, wie sie das Weltgeschehen der vergangenen Jahre wohl bei vielen entstehen ließ. Es lohnt, sich mit diesem Prozess, mit den Mustern, die sie diesmal erkennt, zu beschäftigen, um im Idealfall bei der gleichen Schlussfolgerung zu landen: „The known world is crumbling. That’s ok. It was an edifice stitched together with denial and disavowal, with unseeing and unknowing, with mirrors and shadows. It needed to crash. Now, in the rubble, we can make something more reliable, more worthy or our trust, more able to survive the coming shocks“ (S. 324).